13. April 2014: Kanazawa - ShirakawagoAls ich heute morgen aufwache, schaue ich erst mal zum Nachttisch. Tatsächlich, da stehen drei ausgetrunkene Dosen Cola. Es war also nicht nur ein Traum im Fieberwahn, dass ich heute nacht um eins völlig ausgedörrt hinunter in die Lobby gegangen bin und alles aus dem Automaten gezogen habe, was an Cola verfügbar war. Immerhin scheine ich mich dabei angezogen zu haben und nicht im Schlafanzug hinuntergegangen zu sein, denn die Klamotten liegen jetzt überm Koffer und nicht wie gestern abend überm Stuhl.
Das Zimmermädchen wird sich später sicher fragen, wie der Gast in Zimmer 318 es geschafft hat, in einer einzigen Nacht sämtliche Kosmetiktücher aufzubrauchen, aber ich musste meinen wertvollen Vorrat an Tempotaschentüchern schonen und habe auf hoteleigene Ressourcen zurückgegriffen. Natürlich kann es auch sein, dass das Zimmermädchen schon bei dem Anblick der vielen Baguettekrümel auf dem Boden einen Zusammenbruch erleiden und die leere Kosmetiktücherbox gar nicht mehr bemerken wird.
Immerhin fühle ich mich heute morgen viel besser, und nach einer langen heißen Dusche checke ich schließlich gegen neun Uhr aus, gebe mein Gepäck zur Aufbewahrung und mache mich auf den kurzen Fußweg zum Kenrokuengarten. Der soll zu den drei schönsten Landschaftsgärten Japans gehören, und die Kirschblüte hier in Kanazawa ist noch auf dem Höhepunkt, ich bin also gespannt. Unterwegs ist an einer Kreuzung noch ein schöner 3D-Lageplan zu finden. Das Kind in der Mitte gehört allerdings nicht zur ständigen Installation, sondern wollte unbedingt fotografiert werden.
Im Landschaftsgarten gibt es eine erfreuliche Mitteilung: Wegen der Kirschblüte ist der Eintritt kostenlos. Das macht den Garten gleich mal sympatisch. Eigentlich hatte ich mir ja von einem Landschaftsgarten wenig erwartet, eher sowas wie Blumenrabatte und ab und zu ein paar Bäume und Felsen. Aber der Kenrokuen ist wirklich zauberhaft mit vielen kleinen Ecken und immer neuen Perspektiven. Schade nur, dass ziemlich bewölkt ist und dass nicht nur eine deutsche Touristin, sondern auch ein paar tausend Japaner den Sonntagvormittag im Garten genießen wollen. So gerät es zum Geduldsspiel, Fotos ohne allzu viele Leute zu machen. Aber ich habe ja Zeit, und außerdem mahnen der Humpelfuß und die Schniefnase ohnehin, es langsam angehen zu lassen.
Zwischendurch schaue ich noch in das Crafts-Museum, das direkt am Garten liegt. Kanazawa ist eine traditionelle Handwerkerstadt, und von gefärbter und bemalter Seide über Blattgold bis zu Masken und Musikinstrumenten wird hier vieles in Handarbeit hergestellt. Das Museum gibt einen Überblick über die verschiedenen Künste.
Wieder im Garten überlege ich, ob ich mir noch die angrenzende Seisonkaku-Villa anschaue, aber irgendwie kann ich mich nicht dazu aufraffen. Lieber im Shiguretei-Teehaus einen Tee trinken und eine der dort angebotenen Süßigkeiten essen. Denke ich naiv, habe aber wieder mal die Rechnung ohne die vielen anderen Menschen gemacht, die auf dieselbe Idee gekommen sind, denn am Teehaus macht mir die im Kimono gekleidete Mitarbeiterin mit Händen und Füßen und unter Zuhilfenahme einer Uhr klar, dass die Wartezeit derzeit etwa vierzig Minuten beträgt. Das übersteigt meine heutige Toleranzschwelle dann doch um ca. dreißig Minuten, also gehe ich weiter.
Als ich langsam den Rückweg antrete, sehe ich, dass in dem kleinen Park gegenüber ein Handwerksmarkt stattfindet. Dort werden schöne, aber leider auch relativ teure und nicht ganz koffertaugliche Töpfer- und Glaswaren und andere Dinge angeboten. Auch Imbissstände gibt es hier, aber wer hätte es gedacht: Lange Schlangen finden sich dort leider auch. Staunend stelle ich fest, dass es sogar Schlangen gibt, die sich um den kompletten Imbissstand herumwinden. Zum Glück findet sich in einem etwas abgelegenen Teil des Markts dann noch etwas für mich, und zwar eine kleine Pizza in Blütenform. Sehr nett. Danach stelle ich mich gesättigt an einem Verkaufswagen an und kaufe mir noch einen mit Erdbeeren, Sahne und Kuchen gefüllten Pfannkuchen. Den kann man zwar kaum essen, ohne dass man aussieht, als wäre man mit dem Gesicht in eine Torte gefallen, aber er ist sehr lecker.
Damit ist mein Besuch in Kanazawa leider schon beendet, was mir ein wenig leid tut. Bei mehr Zeit und Energie hätte ich hier beispielsweise den Ninja-dera, einen Tempel mit Geheimgängen und versteckten Türen, ein Geisha-Viertel oder das Museum für moderne Kunst besuchen können oder an einem halbtägigen Handwerkskurs teilnehmen können. Aber immerhin konnte ich mir ja ein paar Sachen anschauen und musste nicht die ganze Zeit krank im Hotelzimmer bleiben. Also fahre ich für sagenhaft günstige 900 Yen mit dem Taxi zu Bahnhof und warte noch zwanzig Minuten an der Haltestelle des Überlandbusses, der pünktlich um 13.25 Uhr nach Shirakawago abfährt.
Mein heutiges Ziel ist das Dorf Ogimachi, das größte Dorf in Shirakawago. Dort stehen einige traditionelle japanische Bauernhäuser, manche über 250 Jahre alt. Der Ort wurde zum Weltkulturerbe erklärt und ist Ziel von vielen Tagestouristen. Man kann aber auch in einigen der traditionellen Häuser übernachten. Auf dem Weg rücken die Berge immer näher, auf vielen liegt noch Schnee. Das sind dann wohl schon die japanischen Alpen. Der Bus fährt durch mehrere lange Tunnels, dann erreicht er schließlich um 14.40 Uhr Shirakawago. Von hier aus muss ich mit meinem Koffer nur noch über eine Brücke und ein kurzes Stück durch den Ort und erreiche das Gasthaus „Kidoya“, in dem ich heute nacht schlafen werde. Ich werde schon in der Tür begrüßt, die Gastgeberin hält mir ein Blatt mit meinem Namen und meiner Adresse unter die Nase, und ich bestätige, dass das meine Buchung ist. Dann reibt sie erst mal gründlich meinen Koffer und den staubigen Fotorucksack ab, bevor der Koffer, der Rucksack und ich das Haus betreten dürfen. Nur die Schuhe müssen wie üblich draußen bleiben. Bei der Begehung meines Zimmers latsche ich natürlich sofort wieder mit Pantoffeln auf die Tatami-Matten, merke es aber nach zwei Schritten und stelle die verbotene Schuhbekleidung schnell auf dem Gang ab. Auf Tatami-Matten nur mit Strümpfen!
Im Kidoya habe ich es nicht so komfortabel wie im Tempel in Koyasan: Toilette und Waschbecken sind im Gemeinschaftsbereich, ebenso wie das heiße Bad, was aber typisch für diese Gästehäuser ist.
Den restlichen Nachmittag nutze ich für einen Streifzug durch Shirakawago. Der Ort ist vollgepackt mit Touristen, aber die meisten sind nur auf einem Tagesausflug hier. Ich gehe an verschiedenen Häusern vorbei. In manchen wohnen Leute, manche sind Gästehäuser, in anderen sind Shops und Cafés untergebracht. Vom Aussichtspunkt über dem Ort verschaffe ich mir einen Überblick. Es seht wirklich hübsch aus, fast wie ein Spielzeugdorf.
Wie überall, wo sich viele Touristen einfinden, ist auch Hello Kitty schon da.
Manche Häuser kann man von innen besichtigen, das hebe ich mir aber für morgen auf und gehe, als die Sonne gegen fünf Uhr hinter den Bergen verschwindet, zurück zur Unterkunft. Dort mache ich mir erst mal Tee und schlüpfe dann fürs Abendessen in die bereitgelegte Yukata. Außer mir übernachtet nur noch eine vierköpfige schwedische Gruppe hier, die ich beim Abendessen kennenlerne. Mit dem bereitgestellten Glas Sake prosten wir uns zu: Kampai! Das Essen wird in vielen kleinen Schüsselchen serviert: unterschiedliches Gemüse, Reis, für mich gemäß Vorbestellung extra keinen Fisch. Dazu gibt es Hida-Rind, das so gut sein soll wie das berühmte Kobe-Rind. Es wird mit den anderen Zutaten in einem kleinen Tontopf direkt auf dem Tisch über einer Flamme gar und ist tatsächlich butterzart. Das Kidoya war beim Buchen eigentlich nicht meine erste Wahl gewesen, andere Gäste hatten es als zu wenig authentisch abqualifiziert, aber alles andere, was bei der Seite japanese guesthouses im Angebot ist, war tatsächlich schon im letzten Herbst ausgebucht gewesen. Jetzt bin ich froh, hier gelandet zu sein, auch wenn im Speiseraum der nicht authentische Fernseher läuft und die Inhaberin offenbar einen Hang zu künstlichen Blumen und Plastikkitsch hat, und auch den Schweden gefällt es gut hier.
Als ich ins Zimmer zurückkomme, ist schon das Futonbett ausgebreitet, mit ganzen drei Bettdecken. Das und die Tatsache, dass die Gastgeberin mir beim Einchecken als allererstes die Funktion des Heizöfchens erklärt hatte, lässt auf eine kalte Nacht schließen. Aber bevor ich schlafen gehe, müssen die Schniefnase und der Humpelfuß für einen Spaziergang nochmal raus an die frische Luft, denn der Fotoapparat hofft auf hübsch beleuchtete Häuser und der raue Hals auf einen Getränkeautomaten. Der Getränkeautomat ist schnell gefunden, für ein paar Fotomotive muss ich länger suchen.
Immerhin schmerzt der Fuß nicht mehr so wie gestern, und die Nase braucht nur noch ab und zu ein Taschentuch. Wieder im Kidoya angekommen, mache ich mich bettfertig und lese noch ein wenig, bevor ich schließlich gegen neun das Licht ausmache. Den Heizofen lasse ich aber vorsichtshalber laufen, ich kann ihn ja immer noch nachts ausschalten, falls es zu warm wird.
Ausgaben des Tages:Craft-Museum Y 260
Taxifahrt Y 900
Busfahrt nach Shirakawago Y 1850
Snacks und Getränke Y 1500
1 ÜN im Gäsehaus Kidoya inkl. Abendessen und Frühstück Y 9000
Nase und Fuß auf dem Weg der Besserung: unbezahlbar