16. August 2020: Geiranger – RundeAn diesem Morgen war gegen 8 Uhr für alle die Nacht zu Ende. Die Wetteraussichten waren an sich nicht schlecht, im Moment hing aber noch eine dicke Wolke über dem Fjord.
Während der Rest der Familie allmählich aufstand, füllte Andreas schon mal Frischwasser auf. Nach dem Frühstück wurde rasch zusammengepackt und der Abwassertank geleert, dann fuhren wir pünktlich um 10 Uhr hinunter zum Fährterminal. Zwar standen in zwei der drei Fahrspuren zur Fähre bereits einige Fahrzeuge, wir hatten jedoch mit deutlich mehr Andrang gerechnet.
Auch hier machte sich die Corona-Krise deutlich bemerkbar. Glück für uns, so war es kein Problem, einen Platz zu unserer Wunsch-Abfahrtszeit zu bekommen. Beim Ticket hatten wir gleich noch einmal Glück, wir konnten ein car package für 1235NOK nutzen, was gegenüber der Einzelbuchung für 4 Personen und ein 8m-Wohnmobil ca. 30% günstiger war. Dennoch entschuldigte sich die nette Dame am Tresen vielmals für den hohen Betrag, aber diese Linie würde von einem privaten Betreiber bedient, der nicht an die Preise der staatlichen Fähren gebunden sei. Wir waren mit dem Preis ganz zufrieden, eine 90-minütige Sightseeing-Cruise hätte für uns vier auch 1575NOK gekostet, so war diese quasi auf dem Weg nach Hellesylt inklusive.
Die Fährpassage war kurz gesagt ein unvergessliches Erlebnis. Die Dimensionen des Fjords sind schon beeindruckend, so breit, dass Kreuzfahrtschiffe problemlos nebeneinander hindurch manövrieren können.
Und doch wirkt alles zwischen den steil aufragenden Felswänden einfach nur winzig. Immer wieder passiert man mächtige Wasserfälle, die über hunderte von Metern von den Klippen in die Tiefe stürzen.
Hier und da entdecken wir einsame, abgelegene Höfe, die bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts nach alter Tradition betrieben wurden. Auch heute sind diese noch in privatem Besitz, werden aber von einem staatlich geförderten Verein erhalten.
Um 12:15 Uhr erreichten wir Hellesylt, welches eigentlich nur aus einer Tankstelle, zwei Lebensmittelläden und einem Souvenirshop sowie ein paar kleinen Pensionen besteht. Wir nahmen zunächst einen Picknickplatz am Ufer in Beschlag und nahmen eine leckere Obstmahlzeit zu uns.
Anschließend schauten wir uns kurz in den beiden Läden um, füllten unsere Vorräte auf und nutzten die öffentliche Toilette in einem ehemaligen Club- oder Kantinengebäude, für das es heute aber keine weitere Verwendung mehr zu geben scheint.
Der weitere Weg führte uns entlang der Fv60 auf kurvenreicher Strecke über die Berge. Anschließend ging es durch zahlreiche Tunnel entlang des Voldafjords nach Norden. Besonders beeindruckend war dabei die Fahrt durch den Eiksundtunnel, der mit 7765m Länge und einer Tiefe von 287m unter NN der derzeit tiefste Straßentunnel der Welt ist. Über eine Vielzahl kleinerer und größerer Inseln, die mit zum Teil schwindelerregenden, einspurigen Brücken miteinander verbunden waren, näherten wir uns unserem heutigen Tagesziel Runde.
Doch vor dem Sæviktunnel wurde unsere Fahrt jäh gestoppt. Hier war eine Höhe von 3,40m angegeben, wir hatten aber bereits am 3,50m hohen Spiraltunnel in Drammen kapitulieren müssen. Völlig perplex drehten wir um, parkten an einem Feldweg und hielten erst einmal Krisensitzung. Was nun? Die Insel Runde mit seinen Vogelkolonien war von Anfang an einer der Eckpunkte bei unserer Reiseplanung gewesen. Nirgends hatten wir einen Hinweis auf eingeschränkte Zufahrtmöglichkeit für Wohnmobile gefunden und jetzt auf einmal sollte hier Schluss sein? Niemals! Eine andere Zufahrt zur Insel gab es aber nicht und so wahnsinnig niedrig sah der Tunnel eigentlich gar nicht aus. Sollten wir uns langsam in der Straßenmitte vorantasten? Viel Verkehr war im Moment ohnehin nicht. Aber was, wenn der Tunnel erst zum Ende hin niedriger werden würde? Dann müssten wir im Rückwärtsgang immer schön mittig zurücksetzen… Das trauten wir uns dann doch nicht. Die Alternative wäre, einen Campingplatz in der Nähe zu suchen und dann zu schauen, ob es Bootstouren zu den Vogelkolonien gäbe. Aber eigentlich wollten wir doch hier einen Tag lang ausspannen und wandern. Wir wälzten Straßenkarten, Tourangebote und Wohnmobilunterlagen, um zeitnah zu irgendeiner Entscheidung zu kommen. Da kam auf einmal ein Wohnmobil aus dem Tunnel gefahren, das rein optisch kaum niedriger als unseres sein konnte. Wie hatte der das geschafft und vor allem, wie konnte der bei der Höhe so selbstbewusst mit vollem Tempo da durchbrettern? Da half nur eins – fragen! Also nahmen wir die Verfolgung auf, vielleicht war ein Einholen ja an einer der einspurigen Brücken möglich. Doch die Hoffnung verflog an einer T-Kreuzung, vor der wir das Fahrzeug aus den Augen verloren hatten…
Die Stimmung war so ziemlich auf dem Tiefpunkt angelangt, als Doreen auf einmal einen Geistesblitz hatte. Ihr war der von Hand beschriftete Aufkleber in unserer Frontscheibe schon in Drammen suspekt und so suchte sie, als sie in den Unterlagen zu unserem Wohnmobil nichts fand, im Internet nach diesem Typ Ahorn-Camper. Dort fand sie tatsächlich eine Höhenangabe von 3,06m und mit ein bisschen Phantasie konnten wir erahnen, dass die „0“ auf dem Scheibensticker wohl nur etwas zu schwungvoll geschrieben wurde und daher wie eine "6" aussah. Damit war der Tag gerettet. Die Laune wurde schlagartig besser, wir drehten um und passierten problemlos den Tunnel. Der Rest der Strecke war schnell geschafft und gegen 17 Uhr standen wir vor dem Goksøyr Camping Platz.
Dort mussten wir uns aber noch einen Moment gedulden, da sich eine Menge Inselbewohner dort zu einer Protest-Kundgebung gegen den geplanten Bau eines Offshore-Windparks vor der Insel zusammengefunden hatten. Als diese beendet war, checkten wir für zwei Nächte ein und bekamen einen Platz in erster Reihe am Wasser.
Wie gut unser Timing gewesen war, wurde uns kurz darauf bewusst, als sich binnen 10 Minuten quasi der gesamte Platz füllte. Da hatten wir nach dem Schreckmoment am Tunnel am Ende doch noch richtig Glück gehabt.
Für einen Tag hatten wir genug Aufregung, deshalb verbrachten wir den Rest des Nachmittags ganz gemütlich. Abendbrot gab es heute im Wohnmobil, anschließend spielten wir eine Runde Imhotep und gingen danach ins Bett.
Gefahrene Strecke: 138 km
Übernachtung: Goksøyr Camping (295NOK / ≈28,00€)