Zwar kenne ich die Dampfloks aus meiner Kindheit noch, aber nur vom sehen. Ich habe mir eigentlich nie darüber Gedanken gemacht, dass bei geöffnetem Fenster Qualm, Ruß und Gestank ins Abteil dringen...
In wie weit dies bei deutschen Bahnen der Fall war bzw. ist (gibt ja noch Museumsbahnen, die mit Dampf fahren), kann ich nicht definitiv sagen. Allerdings schreibt ja Just diesen Ruß etc. schlechter Kohle zu und erwähnt dieses Problem ja auch ausdrücklich. Also war es wohl in Deutschland anders.
Niagara-FälleWeiter geht es mit den Niagarafällen, die die Reisegruppe höchstwahrscheinlich mit dem Zug erreicht. Die Fälle werden ausgiebig erkundet, von allen vier Seiten (USA-Seite, Kanada, stromaufwärts und stromabwärts) finden sich Fotos im Album.
Diese Fälle sind erdgeschichtlich relativ jung – sie entstanden erst vor ca. 12.000 Jahren, als sich mit dem Ende der Eiszeit die Großen Seen bildeten.
Den Indianern galten sie – gut verständlich – als mystischer Ort. Und auch der erste Europäer, der sie 1678 zu sehen bekam, soll vor Erstaunen auf die Knie gesunken sein. Um das Gebiet dann sogleich für Frankreich zu besetzen und ein Fort zu errichten.
Die Fälle eigneten sich aufgrund ihrer Lage im bevölkerungsreichen Osten der USA natürlich als Sehenswürdigkeit. Nachdem noch Ende des 18. Jahrhunderts nur ein einfacher Indianerpfad dorthin führte und es im weiten Umkreis keine weißen Bewohner gab, setzte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Tourismus ein – also schon lange bevor im Westen der USA überhaupt die ersten Nationalparks ausgewiesen wurden. Ja lange bevor im Westen überhaupt alle Staaten gegründet worden waren.
Der Besucherstrom war am Anfang noch recht bescheiden, zumal sich die Fälle ja genau an der Grenze zwischen den USA und dem britischen Kanada befanden, die von 1812 bis 1815 auch genau hier Krieg führten. Der Krieg in dieser Region begann übrigens wie folgt: Ein britischer Offizier hatte amerikanische Offiziere zum Abendessen zu Besuch. Während des Essens erhielt er die Nachricht, dass sich die beiden Länder im Krieg befänden. Dies teilte er seinen Gästen mit. Und nun? Man nahm es gentleman-like, verabschiedete sich höflich voneinander, wünschte sich gegenseitig alles Gute und die Amerikaner eilten zu ihren Truppen zurück.
Gerade aber dieser Krieg beflügelte aber den Tourismus, da man ja nun neben den Fällen auch noch die nahe gelegenen Schlachtfelder des Krieges besuchen konnte.
1845 schrieb ein Reisender begeistert, dass er mit dem Schiff nur wenige Tage bis zu den Fällen gebraucht hätte. Als dann aber in den 1850ern die Eisenbahn Niagara Falls erreichte, konnte der Massentourismus einsetzen.
Ab 1849 gab es schon die ersten „Maid of the Mist“-Schiffe, die bis an die Fälle heranfuhren. Und 1853 bemerkte ein Reisender schon jede Mengen Museen, Kuriositätenläden etc. an den Fällen.
Bekannt wurden sie nicht zuletzt als typisches Reiseziel von Hochzeitsreisenden, gerade dann im 20. Jahrhundert. Man denke nur daran, dass Cary Grant in „Arsen und Spitzenhäubchen“ seine Flitterwochen dort verbringen will – oder an den Film „Niagara“ mit Marilyn Monroe.
Heute besuchen angeblich 14. Mio Menschen pro Jahr die Fälle, die hier auch ein gewaltiges Kommerz-Angebot in unmittelbarer Entfernung finden.
1933 war das Ganze, zumal im Sommer, sicher auch sehr gut besucht, wenn auch vermutlich der Kommerz noch nicht so gewaltig war wie heute.
Natürlich besuchen auch Just und C.F. Werner die Fälle und sind begeistert. C.F. Werner schreibt:
„Wundervolles Erleben! Es ist wert, daß man dahin fährt. Schon zwei Stunden lauf ich sie entlang und des Schauens kein Ende! Der schönste Teil ist der Horsshoe (Pferdehuf)-Fall. Wie ein smaragdgrüner Vorhang schießt das Wasser den Katarakt hinunter. Man kann die Fälle aufwärts noch kilometerweit verfolgen, denn die Stromschnellen beginnen schon beträchtlich weiter oberhalb. Das Gebiet ist jetzt Naturschutzgebiet. Hunderte von Autos von weit her. Schöne Anlagen ringsum.“ (Werner, S. 21, gekürzt)
Hier kommen einmal Daniela vor den amerikanischen Fällen und dann noch einmal Heinz (mit Daniela dahinter):
Eine Sache fällt mir hier übrigens besonders auf den Bildern auf: das Festhalten an formeller Kleidung trotz der vermutlichen Hitze im August. Man darf ja nicht unterschätzen, wie konservativ in dieser Hinsicht Deutschland bis in die 1950er Jahre war. Ein anständiger deutscher Bürger trug natürlich einen Anzug mit Weste und Krawatte. Und einen Hut. Im Sommer dann in einer leichteren Version, aber Anzug musste sein. Die Amerikaner waren hier schon viel legerer. Da wurde – wie ein deutscher Reisender in einem Reisebericht empört feststellte – in einem heißen Eisenbahnwagen ohne jegliche Scham einfach das Jackett ausgezogen. Und auch noch die Krawatte. Und die amerikanischen Weiber, diese schamlosen Personen, zogen ihre Schuhe aus und legten ihre Füße so auf einen anderen Sitz, dass man unter ihren Kleidern ihre Unterschenkel sehen konnte. Sodom und Gomorrha!
Auch C.F. Werner ist ganz erstaunt, als er nur in Hut, Hemd und Hose und zudem – aus Versehen – Pantoffeln eine halbe Stunde mit der Straßenbahn fährt und dabei nicht einmal seinen Mitfahrenden aufgefallen ist. (Werner, S. 33).
(Und wenn wir schon dabei sind: gibt es noch etwas, was die damaligen deutschen Reisenden in den USA für ungehörig oder seltsam halten? Ja, es gibt zwei Sachen, die immer wieder erwähnt werden.
Zum einen die Musik. Die moderne amerikanische Musik, gerade der Jazz, werden von den deutschen Reisenden, zumindest von denen, die schon etwas älter sind, abgelehnt.
Und zum anderen: das Kaugummi-Kauen. Oder in der Sprache der damaligen Zeit das „Gummikauen“. Viele deutsche Reisende empfinden sich inmitten einer wiederkäuenden Kuhherde. In Deutschland ist Kaugummi-Kauen damals noch weitgehend unbekannt, erst mit dem Ende des II. Weltkriegs bringen die amerikanischen Besatzungstruppen diese Angewohnheit nach Deutschland. )Neben dem Tourismus hatten die Fälle aber noch eine andere wesentliche Funktion ab der Mitte des 19. Jahrhunderts – die Erzeugung von elektrischer Energie. Indem man erhebliche Teile des Wassers durch Tunnel schleuste, erzeugte man schon 1896 an die 100.000 PS Energie. Der deutsche Auswanderer Jacob Schoellkopf, 1841 mit einem Schiff von Bremen nach New York gelangt, brachte die Energieerzeugung am Niagara richtig in Schwung. 1877 kaufte er den Niagara Falls Hydraulic Power Canal. Durch den Verkauf des Stroms an die gerade entstandenen Telefongesellschaften verdiente er viel Geld und erhielt den Beinamen „King of Power“.
Unsere Reisenden wussten natürlich von dieser Funktion, werden doch als Besonderheit elektrifizierte Bahnstrecken bei den Fällen abgelichtet. Im Deutschen Reichen waren solche Strecken 1933 noch die Ausnahme, schon da es aufgrund der großen Kohlevorkommen keine Notwendigkeit für elektrisch betriebene Eisenbahnen gab. Nur zur Klarstellung: auch in den USA wurden natürlich die Überlandstrecken mit Dampflokomotiven betrieben - Just hat es ja beschrieben. Aber in der Nähe der Niagarafällen, wo es Strom im Überfluss gab, war die Elektrifizierung sinnvoll.
Hier ein Bild vom Elektrizitätswerk und dann eines von einer elektrifizierten Bahntrasse: