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Autor Thema: Gradwanderung: Heißkalte Womo-Tour durch Arizona und New Mexico  (Gelesen 33394 mal)

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Yaphi

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Zwei Daumen hoch für Dieter für die herrlich trockenen Kommentare ;)
Aber natürlich auch für Irene und den hervorragenden Schreibstil!

ireula

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Donnerstag, 6. Oktober

Kunst zum Mitnehmen

Etwas blauäugig beschließen wir, heute nach Santa Fe zu fahren. Online haben wir gestern den Rancheros Campground gebucht. Unterwegs wollen wir eigentlich zwei Ziele ansteuern: Taos, eine im Adobestil erbaute Stadt mit einem lebhaften Kulturleben, und Alamos, wo ein Museum über das ¨Manhattan-Projekt¨ (die Entwicklung der Atombomben) informiert. Den Tipp mit Taos haben wir aus dem recht kleinen, aber sehr informativen ADAC-Reiseführer Südwesten. Der Klassiker Grundmann/Synnatschke hat für Taos nur ein paar nichtssagende Zeilen übrig.

Als wir die Reiseroute in unser Navi eingeben, stellen wir ein bisschen erschrocken fest, dass wir uns mehr als 250 Meilen vorgenommen haben. Dabei ist Alamos noch gar nicht berücksichtigt. Diese Visite verschieben wir also vorerst und steuern Taos an. Das sind schon knapp  200 Meilen.

Diese Fahrt durch die San Juan Mountains und den Carson National Forest aber ist so eindrucksvoll, dass wir jede Meile genießen. Die Fall foliage, die Laubfärbung, macht die Strecke durch die Berge zu einem einmaligen Erlebnis. Es ist, als ob der liebe Gott seinen Farbkasten ausgepackt hat. Und zwar nicht den mit den zarten Frühlingstönen oder den knalligen Sommerfarben, sondern die ganze Palette mit den sanften, gedeckten, warmen Farben des Herbstes. Die Bäume schimmern rot und golden, die dunkelgrünen Nadelbäume bilden den Hintergrund, das zitternde Espenlaub liefert ein unglaublich bewegtes und bewegendes Spiel im Licht der Sonne. Eine sich auf die Winterruhe vorbereitende Natur lässt uns teilhaben am Tanz der Blätter und an der Schönheit ihrer Kleider. Unglaublich schön. Hinter jeder Kurve wechselt das Landschaftsbild, wir können uns gar nicht satt sehen. Colorado macht seinem Namen als Staat der vielen Farben wirklich alle Ehre.


Die Fotos können nicht mehr als einen groben Eindruck von dem Farben- und Bewrgungsspiel vermitteln,
das uns in den San Juan Mountains begleitete.




Unterwegs gab es noch einen sehr speziellen Verkehrsstau, den wir in Deutschland seltener erleben.

Am Rio Grande stoppen wir bei einer Siedlung, die uns durch ihre eigenartige Architektur auffällt. Ökologisch denkende Alternative haben hier offenbar ihre Visionen umgesetzt. Erdhäuser und burgartige Solarpälaste sehen wir. Man darf allerdings nicht in die Anlage hinein.


Auch alternative Lebensformen möchten keinen unangemeldeten Besuch. Verständlich.


Einige Gebäude der Siedlung erinnerten uns in Teilen an das Hundertwasserhaus in Magdeburg. Aber sie sind deutlich weniger farbenfroh und niedriger.

Taos hat ein urbaneres Erscheinungsbild zu bieten als sonstige US-amerikanische Städte. Rund um die Plaza hat sich eine richtige Stadt entwickelt. DIe Gebäude sind samt und sonders im Adobe-Stil errichtet - das ist Vorschrift in Taos. Wir bummeln ein wenig und entdecken schließlich eine Kunstgalerie. Die Malerin Pat Pollard hat hier gerade eine Ausstellung. Aber auch Werke mehrerer anderer Künstler hängen an den Wänden. Uns gefällt auf Anhieb ein Gemälde, das einen alten roten Chevy zeigt, der irgendwo in der Wüste steht. Die Stimmung des Südwestens ist so gut eingefangen, dass wir uns entschließen, das Bild zu kaufen. Witzig: Die Galeristen Elizabeth Jose ist selbst die Malerin. Sie hat deutsche Vorfahren, berichtet sie uns, und ist nun begeistert, dass ihr Painting nach Deutschland geht.


Elisabeth Jose und ihr Chevy, der bei uns neben dem Bild eines roten Fahrrads
vor einem Breslauer Hauseingang einen gebührenden Platz gefunden hat.


Rund 80 Meilen liegen noch vor uns. Kurz hinter Santa Fe beziehen wir unsere Campsite auf dem Rancheros Campground, direkt an der Route 66. Noch bevor Elektrik und Wasser angeschlossen sind, lodern die Flammen des Holzkohlefeuers. Wir haben Hunger. Zwei Ribeye-Steaks landen auf dem Grill, dazu gibt es Salat und Olivenbrot. Die Steaks bekommt Grillmeister Dieter perfekt medium hin - ein Genuss!



U2LS

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Es ist, als ob der liebe Gott seinen Farbkasten ausgepackt hat. Und zwar nicht den mit den zarten Frühlingstönen oder den knalligen Sommerfarben, sondern die ganze Palette mit den sanften, gedeckten, warmen Farben des Herbstes. Die Bäume schimmern rot und golden, die dunkelgrünen Nadelbäume bilden den Hintergrund, das zitternde Espenlaub liefert ein unglaublich bewegtes und bewegendes Spiel im Licht der Sonne. Eine sich auf die Winterruhe vorbereitende Natur lässt uns teilhaben am Tanz der Blätter und an der Schönheit ihrer Kleider.

Das ist ja Poesie in reinster Form *Like*
Gruß
Lothar

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ireula

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Freitag, 7. Oktober

Nicht westlich von Santa Fe, sondern mittendrin

Gleich nach dem  Frühstück bucht Irene im Office die Campsite für eine zweite Nacht, denn es ist nett hier. Allerdings auch lausig kalt, denn wir befinden uns auf 2000 Meter Höhe. Aber wir hoffen auf wärmende Sonnenstrahlen und werden nicht enttäuscht.

Rund zehn Meilen fahren wir in die Innenstadt von Santa Fe, wo öffentliche Parkplätze gleich neben der zentralen Plaza warten. Allerdings wollen die Parkwächter für das Wohnmobil ordentlich Dollars sehen: 40 Dollar kostet der komplette Tag. Wir zahlen per Creditcard und können gleich unseren Rundgang starten. Santa Fe ist komplett im Adobe Stil erbaut. Die Stadt hat 70.000 Einwohner, wirkt aber ein bisschen verträumt an diesem Morgen. Das ändert sich am Nachmittag, als rund um die Plaza viele Touristen auftauchen. Shops über shops bieten New Mexican Kunst, Kunsthandwerk, Schmuck und Kleidung an. Die Qualität liegt deutlich höher als bei den meisten Touri-Shops, die wir bisher so gesehen haben.
 


Der Adobe-Stil dominiert in Santa Fe und prägt die sehenswerte Hauptstadt New Mexicos.



Wir besichtigen die St. Francis Church, die erst gut 100 Jahre alt ist. Am beeindruckendsten finden wir den Garten mit dem von dem Künstler Gib Singleton gestalteten Kreuzweg. Lebensgroße Bronzestatuen machen den Leidensweg Christi erlebbar - mit einem Jesus, dessen Gesichtszüge ungewöhnlich alt wirken und erst im Tod entspannen - als sichtbares Zeichen der Erlösung.



Die St. Francis Church und ein Kreuzweg, der uns eine ungewöhnliche Nähe zum Leiden Christi empfinden lässt.





Auf der quadratischen Plaza bieten unterdessen unter den Arkaden die Natives ihre Waren feil. Viel Türkisschmuck, aber eher Massenware, soweit wir das beurteilen können.



Unser Ziel ist jetzt das Georgia O`Keeffe  Museum. Die Künstlerin (1887-1986) hat lange in New Mexico gelebt und ist in Santa Fe gestorben. Viele der Gemälde haben die Landschaft des Südwestens zum Thema. O`Keeffe ist übrigens derzeit die teuerste Malerin der Welt, ein Blumenbild erlöste 2014 sagenhafte 62 Mill. Dollar. Die Sammlung in Santa Fe ist reichhaltig. Informationen zu O`Keeffes Leben, Fotos und Originalzitate ergänzen die Ausstellung. Uns gefällt nicht alles, aber von einigen Gemälden sind wir begeistert.


Das Georgia O`Keeffe  Museum präsentiert eine reichhaltige Auswahl von Arbeiten der derzeit teuersten Künstlerin der Welt.

Auf Plakaten hat Irene entdeckt, dass an diesem Wochenende im Convention Center die jährliche Quilt Fiesta stattfindet. Quilts sind die aufwändige Handarbeitsspezialität der Siedler: Vor allem bunte Decken werden aus vielen kleinen Stoffteilen zusammengenäht und gefüttert. Durch kunstvolles Übernähen werden die Schichten verbunden, sodass nicht nur die Stoffe, sondern auch die Nähte ein besonderes Muster ergeben.
Die besten Quilterinnen des Südwestens stellen nun hier aus. Über 100 Quilts von sagenhafter Kunstfertigkeit sehen wir uns an. Natürlich wurden die schönsten schon von einer Jury prämiiert, aber an der Visitor's choice beteiligt sich Irene und wirft die Karte ein, auf der sie ihre drei Favoriten notiert hat.
Rund um die ausgestellten Schmuckstücke gibt es Dutzende von Ständen, an denen die Quilterinnen sich mit Zubehör und vor allem mit Stoffen eindecken können. Und es gibt Nähmaschinen-Demonstrationen. Mit unseren Nähmaschinen hat das allerdings kaum noch etwas zu tun. Die Hightech-Geräte arbeiten vollautomatisch, am integrierten Computer entwirft die Quilterin das Muster, dann geht alles wie von selbst. Aber nicht alle Frauen setzen auf Technik. Eine Quilterin zeigt uns den Stich fürs Handquilten. Am Schluss kaufen wir zwei gequiltete Topflappen (pot holder), die Dieter sich gewünscht und, wie er meinte, als Belohnung für die treue Gefolgschaft bei der Veranstaltung auch verdient hat.


Das ist kein Bücherregal, sondern ein prämiierter Quilt.






Der Cougar, Sieger der Ausstellung.

Nachdem Dieter im Postoffice endlich seine Briefmarken gekauft hat, suchen wir uns einen Platz zum Mittagessen. Wir nehmen das erstbeste Lokal - keine schlechte Wahl. Die Osteria d`Assisi serviert Italienisches. Wir gönnen uns ein halbes Dutzend Austern (Irene) und Calamari (Dieter) als Vorspeise, dann gibt es Entenkeulen bzw. Forelle.

Anmerkung Dieter:
In ihrer kurzen Ausführung über die  Briefmarken übergeht Irene eine tieferliegende Fragestellung, um den Begriff  "Problem" zu vermeiden. Die sicher nicht nur bei uns zur Kontroverse Anlass gebende Frage lautet: Soll man in Zeiten von Internet, E-Mail und WhatsApp überhaupt noch Postkarten an die lieben Zurückgebliebenen senden, zumal die Grüße bisweilen sogar erst nach der Rückkehr der Reisenden eintreffen? Ich meine, man sollte es tun, denn eine Postkarte mit einem schönen Foto hat für den Empfänger wie auch für den Absender einen besonderen Stellenwert. Wenn Irene in dieser Beziehung anderer Auffassung ist, dann akzeptiere ich das natürlich. Wie ich andererseits aber auch erwarte, dass meine Suche nach Briefmarken und die in den nächsten Tagen folgende und ungleich komplexere Suche nach den geeigneten Postkarten-Motiven und das noch weitaus komplexere Ringen um die dazu passenden Formulierungen nicht mit einem kurzen, aber den Reisegefährten gezielt ins Mark treffenden Sätzchen herabgewürdigt wird, dass "Dieter endlich seine Briefmarken gekauft hat". Das Bummeln in der Welt beeinhaltet eben auch Verpflichtungen gegenüber denjenigen, die nicht dabeisein konnten oder die man nicht dabeihaben wollte. Doch jetzt wieder Irene zur Sache selbst. Ich hoffe derweil, dass ich hinsichtlich dieses Themenkomplexes zu keinen weiteren Anmerkungen genötigt werde.

An der Plaza werfen wir einen Blick in die vom Reiseführer empfohlene Lobby des La Fonda Hotels - nicht besonders spektakulär in unseren Augen. Dafür steht jetzt ein Superlativ an: die älteste Kirche der USA! Die Mauern der San Miguel Church im Adobestil stammen aus dem Jahr 1610. Erheblich mehr Besucher sind in der Loretto Chapel anzutreffen. Auch sie hat einen Superlativ zu bieten: Die erste gotische Kirche des amerikanischen Westens. Aber das zieht die vielen Leute nicht an, die für 3 Dollar pro Person ins Kirchenschiff treten. Sie wollen das Wendeltreppenwunder sehen. Eine sehr schöne hölzerne Wendeltreppe führt hinauf zur Chorempore. Die Treppe hat weder innen noch außen Stützen, sondern scheint sich selbst zu tragen - entgegen den Gesetzen der Ingenieurskunst, heißt es auf der Infotafel.


Die Mauern der San Miguel Church im Adobestil stammen
aus dem Jahr 1610.



Das Wendeltreppenwunder in der Loretto Chapel.

Weil uns Santa Fe so gut gefällt und wir die Museen auf dem Museum Hill und die berühmte Canyon Road noch nicht gesehen haben, beschließen wir am Nachmittag, noch einen weiteren Tag auf unserem Campground zu verlängern.   
 

ireula

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Samstag, 8. Oktober

Meilenweit Kunst

Santa Fe die Zweite. Heute ist es bewölkt, ganz wie der Wetterbericht vorhergesagt hat. Am Nachmittag erleben wir sogar ein paar Regentropfen - in Santa Fe, wo 325 Tage im Jahr die Sonne scheint. Aber eben auch 30 Tage nicht.

Wir parken wieder direkt neben der Kathedrale. Diesmal kostet es interessanterweise 45 Dollar. Unser Argument, dass wir gestern nur 40 Dollar bezahlt haben, sorgt zwar dafür, dass der Boss herbeikommt, aber er ist "so sorry", es bleibt bei 45. Sieht so aus, als ob wir gestern ein Schnäppchen gemacht haben ...

Immerhin, die freundliche Kassiererin fragt, woher wir kommen, und bei der Antwort ¨Germany¨ bricht es aus ihr heraus. Ihr Vater sei Deutscher und stamme aus Regensburg, wo ihr Onkel immer noch lebt. Sie nennt uns auch seinen Namen und möchte wissen, ob wir ihn vielleicht kennen. Wir verneinen mit Bedauern, so klein ist Deutschland nun auch wieder nicht.

Wir starten im New Mexico History Museum im Palace of the Governor gleich an der Plaza. Es gibt allerlei Historisches zu sehen, darunter einen toll erhaltenen Planwagen (Mug Wagon). Aber uns interessiert vor allem die Ausstellung im Hinterhaus: ¨Lowriders, Hoppers and Hot Rods: Car Culture of Northern New Mexico¨. Dass manche Amerikaner automobilverrückt sind, weiß man ja. Aber was die Leute alles mit ihren Autos anstellen, ist doch erstaunlich. Wir lernen, was ein Lowrider ist. Einerseits ein Auto, das tiefergelegt und mit Chrom und allerlei Zubehör aufgemotzt wird. Andererseits aber auch sein Besitzer, dem es mehr auf Show, weniger auf Geschwindigkeit ankommt.

Besonders irre: Die blank polierten Straßenkreuzer werden so tief gelegt, dass die Karosserie fast den Asphalt berührt. Andere hieven die Autos mit Hilfe von Hydraulik meterhoch in Luft. Lowriders sind offenkundig eine eigene Community, sogar Lowrider-Fachzeitschriften gibt es.



Echt abgefahren und eine ganz andere Art von Kunst: die Ausstellung über Lowrider.







Zu den ¨must sees¨ von Santa Fe gehört die Canyon Road. Auf rund einer Meile reiht sich hier Galerie an Galerie. Nicht etwa Touristenware, sondern zum überwiegenden Teil ernsthafte Kunst. Die Maler und Bildhauer betreiben ihre Läden in der Regel selbst, haben aber oft auch noch die Werke von Kollegen im Angebot. Wer durch die Canyon Road bummelt, kann sich ein Museum für Gegenwartskunst im Hinblick auf diese Region eigentlich sparen.



Die Canyon Road ist selbst ein Museum für Gegenwartskunst. Und nicht das Schlechteste.









Kunst gucken macht hungrig. Zurück im Zentrum, kehren wir in dem französischen Bistro Mamou ein. Mal wieder gut getroffen. Eggs Benedict und Pilzomelett sind gut. Leider sitzen wir hinten im Lokal direkt neben der Theke mit den Backwaren. Irene kann den Kopf gar nicht wenden von diesen so köstlich aussehenden Tartes, Eclairs und Baisers. Da muss es dann noch ein Kaffee mit einer Tarte au Citron zum Nachtisch sein: himmlisch.



Die Tarte au Citron - vorher.

So gestärkt, nehmen wir das zweite Museum des Tages in Angriff, das New Mexico Museum of Art. Hier hat die Kunst der Natives ihren Platz, und wir sind gespannt, was uns erwartet. Eine Sonderausstellung ist Rick Bartow gewidmet. Dieser Maler und Bildhauer hat ein breites Spektrum an Motiven und Techniken. Vieles ist düster und regelrecht verstörend. Seltsame Mischwesen zwischen Mensch und Tier sehen wir, sehr expressiv und kraftvoll. Bartow ist ganz sicher nicht nur als Native Artist bedeutend - von manchen anderen dort präsentierten Künstlern kann man das vielleicht nicht sagen.



Eine Sonderausstellung ist Rick Bartow gewidmet.



Im New Mexico Museum of Art.

Irene hält nun noch ein bisschen Ausschau nach einem Ring aus Türkis. Wir haben so viel Schmuck gesehen, aber das Passende noch nicht gefunden. In den Shops werden wir auch nicht fündig. Deshalb werfen wir jetzt doch einen Blick die indianischen Stände  an der Plaza. Und siehe da, es klappt: Ein Türkisring wechselt für 40 Dollar Cash den Besitzer. Der Kunsthandwerker hat sogar einmal in Düsseldorf für eine Galerie gearbeitet.



So sehen die Adobe-Häuser im Rohbau aus:  OSB-Platten bilden die Wände. Außen wird der braun-beige Lehmputz schön rundlich aufgetragen.

Einschub: Alltagsorganisation

RV: Die Zuständigkeiten sind ziemlich klar umrissen. Dieter ist wie zu Hause fürs Frühstück, fürs Spülen und für den Grill zuständig. Irene kümmert sich ums sonstige Kochen und um die Wäsche, außerdem um die allgemeine Ordnung. Auf dem Campground ist Dieter der Strom- und Wassermann, Irene hat die Hoheit über die Abwasserentsorgung. Beim Autofahren wechseln wir uns ab.

Anmerkung Dieter:
Irenes Darstellung ist im Kern korrekt, nur erschließt sich mir auch bei heftigstem Nachdenken nicht, was in aller Welt unter dem Begriff "allgemeine Ordnung" zu verstehen sein soll. Fakt ist, dass ich die in meiner Obhut befindlichen Sachen, angefangen bei Kleidung und Schuhen über Handtücher und Frühstücksutensilien (wie die jeden Morgen frisch aus Alufolie angefertigten Eierbecher) bis hin zu Spülgut, Kaffeemaschine und Toaster eigenhändig weggeräumt habe. Was da noch einer nicht ohne Grund nebulös-schwammig gehaltenen "allgemeinen Ordnung" zuzuordnen sein soll, vermag ich nicht im Entferntesten zu erahnen. Ach ja: Einmal hat Irene ein von mir am WoMo-Heck zum Trocknen aufgehängtes Handtuch reingeholt. Aber rechtfertigt diese solitäre Handreichung tatsächlich, die Aufrechterhaltung der "allgemeinen Ordnung" für sich allein zu reklamieren? Oder hat sich in Irenes Worten nicht vielmehr ihr Gewissen mit der bohrenden Frage gemeldet, ob die Hausarbeit während der Reise wirklich gerecht verteilt war? Das ließe für die nächste Tour im Frühjahr hoffen.



Dieters Eierbecher-Konstruktion, jeden Morgen eine neue Kreation.

Wir haben uns auf dieser Reise häufig gegen Full-Hook-Up entschieden, sondern stattdessen die Dumpstation auf dem Campground genutzt, falls nötig. Wir hatten das Gefühl, dass die Nur-Wasser-und-Elektrizität-Plätze oft netter gelegen waren. Außerdem waren sie preiswerter.

Strom ist für uns relativ wichtig, weil der Fernseher dann läuft. Wegen des Präsidentschaftswahlkampfs haben wir immer wieder angeschaltet. Außerdem brauchen Toaster und Kaffeemaschine externen Saft.

Technik: Zwei Smartphones und ein Tablet  haben den Kontakt zur Außenwelt gehalten. Für Irenes Smartphones haben wir eine Simly-Karte für Daten (4 GB) und Telefon (das bedeutet auch: eine amerikanische Telefonnummer, sehr praktisch), das Tablet hat nur eine Datenkarte (3 GB)  zum Surfen bekommen. Dieters Smartphone haben wir nicht amerikanisiert, damit er zur Not unter seiner Nummer erreichbar ist.

Unterwegs haben wir - vor allem in der Wildnis - oft kein Netz. In der Nähe von Siedlungen aber funktioniert das mobile Internet gut. Abends auf dem Campground haben wir oft kostenloses WiFi, sodass wir auf drei Geräten parallel surfen und senden können.
 
Viel Technik - neben den genannten Geräten auch noch zwei Kameras, ein E-Book-Reader, eine elektrische Zahnbürste, ein Navi - braucht auch viel Strom. Wir haben uns im Walmart ein weiteres Ladekabel für den 12-Volt-Anschluss im Auto gekauft, an dem wir zwei Verbraucher  gleichzeitig laden können. Das Navi steckt dauerhaft in dem zweiten 12-Volt-Anschluss. Wenn wir auf dem Campingplatz Strom haben, nutzen wir die Steckdosen im RV. Dafür sind allerdings die Steckeradapter nötig, die wir von zu Hause mitgebracht haben.

U2LS

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Dieser Indianerkopf kam mir gleich so bekannt vor, den hatte ich schon irgendwo mal gesehen....

Dann fiel´s mir ein; es war im März 2010 im Desert Botanical Garden in Phoenix, AZ:

Gruß
Lothar

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ireula

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Hallo Lothar,
gerade die Bronze-Arbeiten entlang der Canyon Road beeindrucken schon allein mit ihrer Größe. Dennoch: Relativ dicht gedrängt kommen sie längst nicht so gut zur Geltung wie in der Wüste (danke fürs Foto). Auch Figuren brauchen eben Auslauf.
Gruß
Irene

ireula

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Sonntag, 9. Oktober 2016

Debate mit Blitz und Donner

Eines muss man Dieter ja lassen: Er gibt nicht so leicht auf. Nachdem die bisherigen Ansätze, ein Footballspiel zu besuchen, aus verschiedenen Gründen gescheitert sind, hat er nun in Tucson eine Gelegenheit aufgetan. Die Universitätsmannschaft Arizona Wildcats hat ein Heimspiel gegen Los Angeles am Samstag um 12.30 Uhr. Die Karten gibt es online. Wir buchen also zwei Karten zu je 125 Dollar im Heimblock. 42. Reihe, also nicht ganz vorn. Aber Spitzenpreise von 300 Dollar wollen wir dann doch nicht bezahlen.

Das Problem: Die Tickets, die uns zum Download geschickt werden, müssen ausgedruckt werden. Das PDF auf dem Smartphone genügt nicht. Einen Drucker haben wir nicht an Bord, also bitten wir im Campground-Office um Hilfe. Kein Problem: Nach ein paar Minuten haben wir unsere Tickets in der Hand.

Jetzt wird noch ein bisschen an der Reiseroute gebastelt, denn eigentlich sind wir am Samstag schon weiter Richtung Death Valley unterwegs. Das Football-Intermezzo verlängert nun den Aufenthalt in Tucson.



Es geht nach weiter Süden in die Wärme. Und in ein abendliches Gewitter.







Irene fährt.

Nach dem Dumpen kommen wir kurz vor 11 endlich los. Unser Ziel ist heute Alamorgordo, ohne nennenswerte Stopps. Wichtig ist uns nur, dass wir abends die Presidential-Debate im Fernsehen verfolgen können. Wir buchen also einen einigermaßen zivilisierten Campground. Der KOA in Alamogordo bietet sich da an. Wir bekommen die letzte freie Site und probieren gleich den Fernseher. CBS funktioniert, das ist die Hauptsache. Ansonsten haben weder der Campingplatz noch die Stadt Besonderes zu bieten.



Der KOA in Alamogordo.

Um 7 pm sitzen wir also vor der Kiste. Donald Trump und Hillary Clinton müssen Fragen der Zuschauer beantworten. Jeder hat zwei Minuten Sprechzeit, dann kommt das nächste Thema. Natürlich spielt das Video eine Rolle, das frauenfreindliche Äußerungen vom Trump dokumentiert. Die Kandidaten sind erst vorsichtig, werden aber zunehmend aggressiver. Dann aber spielt uns das Wetter einen Streich. Ein heftiges Gewitter entlädt sich direkt über uns. Das Problem sind nicht Blitz und Donnerschläge, sondern der Regen, der auf das  Wohnmobil prasselt. Dadurch hören wir auch bei maximaler Lautstärke kaum, was die Kandidaten sagen.



Noch stärker als die verbalen Attacken der Kontrahenten prasseln bei der zweiten Präsidentschafts-Debatte
die Regentropfen auf uns herunter.





   

wolfmark

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Ganz toller Reisebericht, ich freue mich schon auf die Fortsetzung  :D

Gast

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Der RB gefällt mir sehr gut.  Das Bild mit der Unterschrift "Irene fährt" irritiert mich aber etwas ... da stimmt doch was nicht, oder?

Freude mich schon auf die Fotsetzung.
Liebe Grüße
Selke

ireula

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Hallo Selke,
gut beobachtet, das Bild ist ein spiegelbildliches "Selfie" von Dieter, wie man an den "Ricola"-Bonbons in der Ablage erkennen kann. Ich habe natürlich links gesessen.
LG Irene :D

ireula

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Montag, 10. Oktober (Kolumbus Day)

Weiße Wildnis

Heute könnte der schönste Tag unserer Reise gewesen sein. Jedenfalls war es ein außergewöhnlich schöner Tag. Nur ein paar Meilen Anfahrt haben wir von unserem Campground zum White Sands Nat. Monument zu bewältigen. Im Visitor Center noch vor dem Parkeingang holen wir uns die obligatorische Karte. Der erste Stopp ist der Boardwalk, der in die hier noch reich bewachsene Dünenlandschaft führt. Wirklich interessant sind die Erläuterungen am Wegesrand, es lohnt sich, stehenzubleiben und die Texte zu lesen. Wir machen sogar das Spuren-Quiz, bei dem neun Fußspuren den entsprechenden Tierarten zuzuordnen sind: gar nicht so einfach.



Ein kurzer Boardwalk führt in die Dünenlandschaft von White Sands ein.

Wenige Meilen weiter endet die asphaltierte Straße, und der Parkloop wird zu einer Waschbrettpiste, die unser Wohnmobil so richtig durchschüttelt. Dieter fährt kaum schneller als Schritt, aber es rappelt gefährlich. Der Alkali Flat Trail ist unser Ziel (jedenfalls Irenes). Auf dem Parkplatz mitten in der weißen Sandwüste ist schon eine Menge los: Kinder und junge Leute rodeln die Hänge neben der Straße unter großem Juchhei hinunter. Sie benutzen Plastikrodel, die am Visitor Center verkauft werden.



Rodeln auf den Sand- und Gipsdünen ist ein großer Spaß.

Wir machen uns auf den Weg, White Sands zu Fuß zu erkunden. Irene liest die Hinweise zum Trail: 5 Meilen = 8 Kilometer, strenuous (anstrengend), genug Wasser, Sonnenschutz, Kompass und Smartphone soll man dabeihaben. Dieter liest das nicht.



Hinweisschilder kann man lesen, man muss es aber nicht. (Man sollte es aber, Anm. Dieter.)

Rote Stangen weisen den Weg durch die Dünen. Zuerst treffen wir noch Leute und wandern auf den Fußspuren unserer Vorgänger. Aber nach ungefähr einer Dreiviertelstunde sind wir allein in dieser weißen Wildnis. White Sands ist eine Gipswüste, die größte der Erde. Unter dem lockeren weißen Sand befindet sich eine festgebackene Gipsschicht. Wir klettern steile Dünen hinauf und stolpern auf der anderen Seite wieder hinunter, immer den nächsten Wegweiser in 100 bis 200 Metern Entfernung im Blick. Wer sich hier verläuft, hat wirklich ein Problem, denn die Wüste misst mehr als 20 Quadratkilometer. Aber Dieter hat ja seinen Kompass.

Der mutige Wanderer erfährt ungefähr nach drei Kilometern, worauf er sich eingelassen hat. Er rechnete wohl mit einem kleinen Einstunden-Hike. Dass er vom Parkservice mit drei Stunden netto veranschlagt wird, bringt Dieter kurz aus der Fassung. Dann aber hat er ein Einsehen - zum Glück: Der Weg ist von atemberaubender Schönheit. Und wir sind komplett allein in dieser gleißend hellen Welt. Erst eine halbe Meile vor dem Ende des Rundwegs treffen wir wieder auf Leute.
 


20 Quadratkilometer Einsamkeit in gleißend heller Wüstenlandschaft und gefühlvolles Barfußlaufen auf dem leicht sandigen Gips sind eine faszinierende Erfahrung.











Eigentlich hätte man sich ja zu Beginn der Tour in das Hiking-Register eintragen sollen, damit die Ranger wissen, wer noch aussteht. Dieter macht es hinterher: "Dann wissen sie zumindest, dass wir weg waren."

Wieder einmal sind wir mehr als glücklich, in unserem Wohnmobil unser Zuhause dabei zu haben. Inklusive Kühlschrank, der kalte Getränke und - purer Luxus in dieser Hitze - einen großen Sack voller Eiswürfel im Gefrierfach bereithält. Dazu gibt es Snacks und Kekse. Kochen wollen wir uns jetzt nichts, Dieter drängt zum Aufbruch.

Gut 100 Meilen sind es bis zu unserem heutigen Ziel Deming. Dort gibt es nichts Besonderes - außer einer großen Anzahl von Campgrounds. Wir sind uns also ziemlich sicher, dass wir heute ein Plätzchen finden. Allerdings hat Dieter einen besonderen Platz im Internet gefunden: den Campground im Rock Hound State Park. Wir steuern ihn an - nach Einkauf und Tanken ist es schon halb sechs, als wir ihn erreichen. Eine Internetreservierung hatten wir versucht, aber in Stateparks kann man, wie wir uns jetzt erinnern, nur mindestens 24 Stunden und maximal 14 Tage im voraus buchen. Wir müssen es also auf gut Glück versuchen.

Und dieses Glück ist uns hold. Als wir etwas ratlos über den weitläufigen, wunderschön angelegten und von Bergen umgebenen Platz kurven, überholt uns ein Ranger und lotst uns zu der letzten freien Site - sogar mit Wasser und Strom. Zwischen Kakteen und Ocotillas stehen wir, neben dem Wohnnmobil ein überdachter Sitzplatz und natürlich ein Grill. Gerade geht die Sonne unter, wir schauen in die goldene Ferne. Unterdessen bruzzeln zwei Ribeye-Steaks auf dem Feuer. Dazu gibt es Salat und Zuccini-Gemüse.



Der Campground im Rock Hound State Park ist nicht nur hübsch gelegen, sondern auch von den sanitären Anlagen her top-gepflegt.





Zuerst machen uns kleine Mücken zu schaffen, nachdem uns größere Exemplare schon in White Sands ordentlich zerstochen haben. Irene greift jetzt kurzentschlossen zur probaten Insektenwaffe Deet, die wir aus Florida mitgebracht haben. Ein paar Sprühstöße reichen, und die lästigen Viecher lassen uns in Ruhe. Im Mondlicht sitzen wir in unserem Wüstengarten, die Grillen stimmen zum Konzert in die leisen Klänge der Gitarre ein. Zum stimmungsvollen Abschluss gibt's Beethovens "Für Elise".


ireula

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Dienstag, 11. Oktober

Felsentürme

Das Chiricahua Nat. Monument ist unser Ziel. Schlappe 180 Meilen haben wir zu fahren, erst über die Interstate 10 durch flaches Prärieland, dann über kleinere Straßen mit vielen Wellen und abwechslungsreicheren Ausblicken. Im Park gibt es einen kleinen Campground, der auch ein paar Womo-Plätze hat. Darauf setzen wir unsere Hoffnungen, denn bis zur nächsten Siedlung müssten wir wieder 35 Meilen retour fahren.
Leider klappt es diesmal nicht. Schon am Parkeingang verkündet ein Schild "Campground full". Die Rangerin im Visitorcenter bestätigt das.

Trotzdem machen wir uns natürlich auf den Weg, die Felsenlandschaft zu erkunden. Zwei Hikes kommen uns gerade recht: der Massai Point Nature Trail und der Weg zu den Grotten am Echo Canyon. Beide sind eigentlich nicht lang (eine bzw. zwei Meilen). Sie führen durch eine aufgetürmte Felsenlandschaft, die vulkanischen Ursprungs ist. Die Erosion hat Risse und Sprünge ins Gestein gesprengt. Dadurch brachen Teile der Felsen weg, Türme blieben stehen. Auch die Felsnadeln, die in Reih und Glied emporragen, sind von Wind und Wetter angenagt. Nichts ist kompakt, Tausende von Rissen und Spalten ziehen sich durchs Gestein. Manche Felsbrocken liegen nur noch an einer Stelle lose auf. Dieter legt einen Schritt zu, als er die balanced rocks passiert.



Das Chiricahua Nat. Monument ist etwas abseits gelegen, aber die imposante Felsenlandschaft ist den Abstecher wert.





Auch wenn der Campground voll ist, sind die Trails alles andere als überlaufen. Chiricahua ist wohl eines der abgelegensten Highlights auf unserer Reise. Aber die lange Anfahrt lohnt sich unbedingt. Auch der Trail zu den Grottoes ist spektakulär. Hier bilden gewaltige Felsen, die hoch oben zwischen Türmen klemmen, Höhlen. Nur eine Frage der Zeit, wann sie herunterstürzen ... Wir folgen dem Pfad noch eine Weile - der Höhlenweg war als roundtrip ausgeschildert -, haben aber das Gefühl, dass es keineswegs zurück in Richtung Parkplatz, sondern immer tiefer ins Tal hinein geht. Schilder sehen wir auch nicht mehr. Deshalb kehren wir schließlich um und gehen den wunderschönen Trail zurück.



Einer der Trails führt zu den spektakulären sog. "Grotten".













Kurz vor 3 pm verlassen wir den Park und machen uns auf den Weg zurück nach Willcox. Dieter hat den Grande Vista Campground ausfindig gemacht. Etwas speziell sind hier die restrooms: Nicht nur Duschen, sondern auch Toiletten sind nur mit Vorhängen abgeteilt. Na ja ...

Es ist inzwischen richtig heiß in Arizona. Da hier keine daylight saving time (Sommerzeit) gilt, haben wir gegenüber New Mexico eine Stunde gewonnen. Die Mägen aber sind noch ziemlich leer - vor allem Irenes. Das ist für die Stimmung eher ungünstig. Dazu kommt, dass sie sich jetzt noch zwei Stunden mit der Campground-Planung für die kommenden Tage befasst, aber durch das extrem lahme Internet ständig ausgebremst wird. Dritter Minuspunkt: ein wunderbarer Hexenschuss, der das Aufstehen nach dem Sitzen zur Qual macht. Mit einem Wort: Die eheliche Kommunikation von weiblicher Seite gleicht eher dem Fauchen einer gereizten Katze.

Anmerkung Dieter: "Gereizter Puma" wäre hier die wohl passendere Beschreibung. Letztlich hat Irene jeden angefaucht, der seinen Kopf aus dem WoMo steckte, nur war es immer Derselbe. Prankenlos und rein sachlich betrachtet ließ sich Irene von den beiden aufeinander zurollenden Konfliktwellen "Irene hat Hunger" und "Irene hat Hexenschuss" in den frühkindlichen "Keiner-kümmert-sich-um-Irene"-Sog treiben, der bei ungünstigem Verlauf und ohne Abebben der Flutbewegungen in den umgehenden Abbruch der Reise hätte münden können. Dann wäre hier Schluss. Ist aber nicht. Im Gegensatz zum Hungergefühl ("feed me") kann man gegen den leidigen Hexenschuss nicht viel machen. Klar ist, dass abrupte Bewegungen die Schmerzen noch verschlimmern. Deshalb habe ich, zumal ich mich ohnehin nicht mehr aus dem Wohnmobil heraus traute, die Zuständigkeit für die an anderer Stelle von Irene angeführte "allgemeine Ordnung" komplett übernommen. Konkret: Ich fege gerade, während Irene versucht, einigermaßen schmerzfrei ihr Reisetagebuch fortzufühen. Und tatsächlich: Diese moralische Rückenmassage nimmt der "Hexenschuss"-Welle schon einiges an Fahrt. Der "Hunger"-Tsunami lässt sich allerdings nicht einfach wegfegen. Irene schildert den dramatischen Fortgang der Ereignisse mit ihren eigenen Worten:

Abhilfe gegen die Gereizheit, das weiß Dieter nach fast 27 Ehejahren genau, kann nur die schnelle Zufuhr größerer Kalorienmengen schaffen. Ausgerechnet heute aber hat sich der Mann in den Kopf gesetzt, auswärts zu essen. Und zu Fuß zu dem vom Campground-Host empfohlenen Lokal zu gehen. "One mile or so" hieß es vage. In der Dunkelheit marschieren wir mit Taschenlampe und Kartenskizze bewaffnet los. Ins Nichts. Hier gibt es hysterisch bellende Hunde vor Mobilhomes, gruselig leuchtende, zwei Meter hohe aufblasbare Katzen in Vorgärten (Halloween!), aber nichts zu essen. Nach diversen Auseinandersetzungen um die Technik des Kartenlesens und ungefähr drei Meilen Fußweg erreichen wir schließlich doch noch unser Ziel. Das mexikanische Restaurant in der Maley Street entpuppt sich als hässlicher Fastfood-Schuppen, aber gegenüber steht ein Eisenbahnwaggon, der zu einem BBQ- und Steakhouse umgebaut wurde. Hier nehmen wir draußen Platz. Bud und gewaltige Portionen kommen im Nu, und mit jedem Bissen kehrt der eheliche Frieden zurück. Da macht es letztlich gar nichts, dass wir meilenweit zu unserem Camper zurücklaufen müssen. Die jungen Leute, die in ihren Pickups mit laut dröhnender Musik die Straßen rauf und runter fahren, werden sich gewundert haben, denn außer uns geht hier niemand zu Fuß.



Reise und Ehe sind gerettet: Irene blüht nach der geballten Kalorienzufuhr wieder auf. Bereit für neue Entdeckungen.

ireula

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Mittwoch, 12. Oktober

Gunfight at Tombstone

Nur 60 Meilen sind es bis zur Western-Stadt Tombstone (spricht sich ¨Tuumstoun¨, bedeutet Grabstein). Das Städtchen ist heute eine Touristenattraktion und rühmt sich als ¨the town too tough to die¨. Tombstone hält die Erinnerung an den Gunfight beim OK Corral wach - Tag für Tag wird der Shoot-out nachgespielt, an dem Wyatt Earp und seine Brüder sowie Doc Holliday beteiligt waren.
Aber so weit sind wir noch nicht. Erst sichern wir uns eine Campsite auf dem Tombstone RV Park ca. eine Meile vor der Stadt. Hier lockt uns vor allem der Pool, denn es ist wieder richtig heiß, und das bedeutet um die 30 Grad im Schatten.

Vor einer kühlenden Erfrischung fahren wir aber in die Stadt. Parken ist kein Problem: Gleich hinter der Allen Street ist ein kostenfreier großer RV-Parkplatz. Von dort sind es nur wenige Schritte mitten ins Geschehen. Kurz nach Noon ist hier noch alles ruhig. Der Gunfight ist für 2 pm angekündigt. So schlendern wir ein bisschen durch die Stadt, aber eingedenk der Erfahrungen von gestern steuert Dieter ohne Zögern die im Reiseführer und vom Campground Host empfohlene Lokalität an: Big Nose Kate's Saloon. Es ist brechend voll, wir bekommen einen schönen Tisch im hinteren Bereich, etwas erhöht, sodass wir alles überblicken.
Ein guter Musiker spielt Western-Songs, die Kellnerinnen sind im Westernlook gekleidet, mit kurzen Röckchen und engen Miedern - eher aus der Bigsize-Abteilung. Wir essen Burger und Calcone (die sich allerdings als höllisch scharf entpuppt).



Big Nose Kate's Saloon - hier also hat Doc Holliday verkehrt.



Die Western-Musik war professionell, das Repertoire breit gefächert.



Nichts gegen eine scharfe Calcone, aber das Ding hier war schweißtreibender als jeder Marsch
durch die Wüste. Von ehelicher Fürsorge getrieben hat Irene schließlich mit Dieter getauscht und die Scharfmacher aussortiert.




Obwohl touristisch geprägt, hat sich Tombstone den Charme einer Westernstadt erhalten.







Direkt vor unserem Tisch hängen allerlei Verkleidungsutensilien an einem Ständer. Die Gäste machen sich einen Spaß daraus, mit einem Gewehr und Westernhut zu posieren oder sich als ¨Shady Lady" auf dem Klavier zu räkeln. Die Chefin des Etablissements macht mit den Handys der Gäste dann ein Foto. Diese Chefin - ebenfalls in Mieder geschnürt, aber nicht ganz so kurz berockt - könnte übrigens als Big Nose Kate selbst durchgehen, denn ihre Nase ist markant. Allerdings wollen wir ihr nichts unterstellen, denn Kate war wohl die erste Prostituierte in dem von Silbersuchern überrannten Städtchen Ende des 19. Jahrhunderts. Aber sie war auch eine clevere Unternehmerin und wurde später die Freundin des berühmten Doc Holliday.





Kate's Saloon ist als Gebäude erhalten geblieben. Hier war zur Blütezeit Tombstones das Grand Hotel. Im Keller wohnte der Hausmeister, genannt der ¨Swamper¨. Heimlich, still und leise grub er von seinem verschwiegenen Schlafzimmer aus, das nie jemand anderer betrat, einen Stollen, der ihm Zugang zu dem unterirdischen Gangsystem verschaffte, das die Tombstoner Silbervorkommen erschloss. Und so konnte er Unze für Unze und Nugget für Nugget herausschaffen. Wenn man von Kate's Saloon die steile Wendeltreppe zum Giftshop hinuntersteigt, kann man das Kellerzimmer und das Bett des Hausmeisters sehen, ebenso wie den Anfang des Stollens.
Ob der Swamper sein Silber unter die Leute brachte oder irgendwo versteckte, weiß man nicht. Aber es geht das Gerücht, dass er gelegentlich im Keller herumspukt. Vielleicht schaut er nach, ob der Schatz noch da ist, nach dem schon Generationen von Tombstonern gesucht haben.

10 Dollar pro Person kostet der Eintritt zum Gunfight, der nicht auf der Allen Street, sondern in einem abgezäunten Hinterhof stattfindet. Eine Tribüne für die Zuschauer öffnet den Blick aufs Geschehen. Zu Beginn der Show bekommen wir Zuschauer Anweisungen: Immer wenn die Good Fellows auf der Szene erscheinen oder abgehen, haben wir zu jubeln. Und wenn die Bad Boys kommen, müssen wir buhen. Und so geschieht es.
Die Story erschließt sich uns nur zum Teil. Warum die ¨Bösen¨ in der Stadt so schlecht gelitten waren - sie waren versoffen und wollten ihre Waffen nicht abgeben, na gut - , hatte sicher verborgene Gründe. Jedenfalls wurden die armen Kerle in der 30 Sekunden dauernden Schießerei am 25. Oktober 1881 erschossen. Die Guten überlebten.



So richtig schlau geworden sind wir hinsichtlich der Hintergründe der wohl berühmtesten Schießerei des Wilden Westens nicht.



Aber die "Bösen" waren am Ende tot.

Mit dem Eintrittspreis für den Gunfight erwirbt man auch die Berechtigung, das 25 Minuten dauerende Historama der Ereignisse anzuschauen (schenken wir uns), und einen Nachdruck der damaligen Ausgabe des ¨Tombstone Epitaph¨, der örtlichen Zeitung, zu bekommen. Das Blatt gibt es im historischen Zeitungsgebäude in der 5th street. Der Eintritt in das dortige Museum ist frei. Der Besuch ist für uns das Highlight des Tages. Wir trauen unseren Augen kaum, als wir vor zwei voll funktionstüchtig erscheinenden Intertype-Setzmaschinen stehen. Sie gleichen der alten Linotype, die in unserer Firma noch zu besonderen Ereignissen reaktiviert wird. Der Setzer schreibt auf einer Schreibmaschinentastatur, die Lettern werden zu ¨Sluds¨ zusammengefügt. Ist ein Fehler im Satz oder wird der Text nicht mehr gebraucht, schmilzt die Maschine die Bleizeilen wieder ein. Leider fehlt in dem kleinen Museum fachkundige Begleitung, um zu klären, warum ganze Seiten in Blei gegossen waren und nicht wie früher bei uns (bis in die 1980er-Jahre) Zeile für Zeile von den Metteuren zu einer Zeitungsseite zusammengefügt wurde.
Dafür war die Schriftsetzergewerkschaft in den USA genauso aktiv wie bei uns - den Herausgebern und Reportern war streng verboten, die Sluds zu berühren. Taten sie es dennoch, wurde der Satz komplett eingeschmolzen, und der Setzer begann von Neuem. Wir erinnern uns an den gewerkschaftlichen K(r)ampf bei der Einführung des Fotosatzes in Deutschland.



Nicht der Gunfight, sondern die überraschende Begegnung mit den beiden Intertype-Setzmaschinen war für uns das Highlight des Tages.





Bevor wir zu unserem Campground zurückkehren, ist noch ein kurzer, aber durchaus ertragreicher Shopping-Moment gekommen. Bei den Westernklamotten finden wir so recht nichts, was man auch in Deutschland abseits der Karnevalstage anziehen könnte. Dafür entdecken wir bei Arlene's eine schöne Türkis-Kette. Mit diesem Kauf sind wir nun endgültig und deutlich über unserer Freigrenze, wir werden also in Frankfurt erstmals Bekanntschaft mit dem Zoll machen. Wir sind gespannt.

Anmerkung Dieter: Im Grunde ist an Irenes Schilderung, was das Shoppen anbelangt, nichts auszusetzen. Allenfalls, dass einige Details der Ergänzung bedürfen, will man der Gefahr begegnen, dass ein falscher Eindruck entsteht: Dass wir "bei den Westernklamotten so recht nichts finden", ist eine Darstellung, die mit dem tatsächlichen Ablauf des Einkaufserlebnisses nur insoweit zur Deckung gebracht werden kann, als man den männlichen Teil des "Wir" mit seinen ebenso zahlreichen wie vergeblichen Versuchen ausblendet, bei Irene für den Kauf verschiedener Kleidungsstücke wie Hemden und Stiefel zu werben. Die mehrfach zu Protokoll gegebene Aussage "Das kannst Du nicht tragen" bezog sich ausnahmsweise einmal nicht auf die wegen altersbedingt schrumpfender Muskelpakete nachlassende Fähigkeit, erworbene Waren unbeschadet zum Wohnmobil zu schleppen. Gleichwohl gerne getragen habe ich "die schöne Türkiskette", die nicht "wir", sondern die Irene ganz allein bei Arlene's entdeckt hatte. Für mich verblieb bei ihrem Einkaufserlebnis letztlich nur, die Tax herunterzuhandeln. Doch ganz ohne Neid: immerhin darf ich alle drei Tage Gallonen über Gallonen von Benzin kaufen.



Am Campground dauert es nur Minuten, bis wir die Badesachen anhaben. Zum ersten Mal in diesem Urlaub steigen wir in den Pool, herrlich erfrischend. Eine Familie mit zwei Jungs ist außerdem noch da. Wir kommen mit den Leuten ins Gespräch. Es ist eine australisch-englische Familie, die sich auf einer Einjahresreise befindet. Sie sind vor vier Wochen in Seattle gestartet und touren nun die nächsten Monate durch die USA. Das zweite halbe Jahr wollen sie in Mittelamerika verbringen. Sie haben kein gemietetes Wohnmobil, sondern einen Truck und einen Trailer (Wohnanhänger) gekauft. Den Trailer werden sie verkaufen, wenn sie die USA verlassen. In Zentralamerika wollen sie dann in Motels und Hotels übernachten. Wir fragen nach den Kindern und erfahren, dass sie ein Jahr lang von den Eltern privat unterrichtet werden. Das ist in England erlaubt. Die Eltern büffeln unterdessen Spanisch, um für die Reise nach Süden gerüstet zu sein. Aber die Frau ist entspannt. Sie sei schon einmal durch Zentalamerika gereist, ohne ein Wort Spanisch oder Portugiesisch zu sprechen, das habe wunderbar geklappt. Wir staunen über diese Familie und wünschen ihr einen safe trip.


NähkreisSteffi

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Hallo ihr beiden,

jetzt bin ich wieder auf dem Laufenden! Super Reisebericht. Die Kommentare sind zum  :lachroll:

Weiter so!

Steffi