Und nun kommt ER - der Tag X, der unser Leben doch ein wenig aufgerüttelt hat ...
und auf den Ihr schon mit Spannung gewartet habt.
Am darauffolgenden Tag (08.11.) waren wir zwar schon um kurz nach 6 Uhr wach, sind aber erst kurz vor 7 Uhr aus den Federn gekrochen. Die Sonne lachte uns wieder an und so haben wir erst einmal gemütlich gefrühstückt.
Um 09.30 Uhr sind wir nach Norfolk aufgebrochen. Dort wollte ich mir ein paar schöne Häuser und vor allem interessante Haustüren anschauen, die ich in einem Reisebericht gesehen hatte.
Da wir nicht so genau wussten, wo wir parken sollten, fuhren wir einfach drauf los – irgendwo stand mal ein Schild „Old Town“ und dann parkten wir in einer ruhigen Nebenstraße vor einem Mehrfamilienhaus. Da musste man keine Parkgebühren zahlen und wir wollten uns erst einmal umschauen.
Wir liefen die Bute Street runter Richtung Hafen (das habe ich mir jetzt mal bei google Maps angeschaut), machten einige Fotos von schönen Häusern und liefen die Freemason Street (Parallelstraße zur Bute Street) wieder rauf (also wieder Richtung Auto).
Und immer noch liegt Halloween in der Luft
:
Auf einmal sagte Thomas zu mir, dass er sich komisch fühle und dass ihm etwas schwindelig sei. Da er früher schon mal mit orthostatischen Dysregulationen (Kreislaufproblemen) zu tun hatte, habe ich eigentlich immer Traubenzucker dabei wenn ihm plötzlich mal „die Farbe aus dem Gesicht fällt“. Ich gab ihm gleich welchen, aber seine Beschwerden schienen dieses Mal anderer Natur zu sein, so dass wir die Duke Street hochliefen in Richtung Auto. Wir waren noch nicht ganz am Auto angekommen als er plötzlich so komische Ausfallerscheinungen hatte – er konnte keinen Punkt mehr anvisieren, lief herum als ob er nichts mehr sehen könnte, fing an den Armen an zu zittern und stakste herum wie ein Roboter. Leider habe ich es alleine nicht geschafft ihn dazu zu bewegen, sich auf die Beifahrerseite ins Auto zu setzen. Der tappte herum wie ein Blinder, ließ sich aber trotz allem auch nicht führen bzw. scheute es angefasst zu werden. Gerade zu dem Zeitpunkt kam ein Mann Anfang/Mitte 30 aus dem Haus und wollte seinen Wagen, der hinter unserem geparkt war, beladen. Ich bat ihn um Hilfe, er möchte doch bitte eine Ambulanz rufen, mit meinem Mann würde etwas nicht stimmen. Zuerst half er mir aber dabei, Thomas auf den Beifahrersitz zu verfrachten. Auf einmal begann Thomas am ganzen Körper zu zittern, verdrehte die Augen so stark, dass nur noch das Weiße zu sehen war und dann lief ihm Speichel aus dem Mund. Der Mann hatte sich mir als Christopher vorgestellt und war schon dabei, mit der Notrufzentrale zu telefonieren. Er gab an was er sah, was mit Thomas passierte, während ich ihn auf dem Sitz festhielt. Dann floss plötzlich auch noch Blut aus seinem Mund – er hatte sich während eines Krampfes (wie sich später herausstellte massivst!) auf beiden Seiten auf die Zunge gebissen. Ich wischte ihm ständig Speichel und Blut weg und redete ruhig auf ihn ein. Er atmete dann mit einem Mal auch ganz merkwürdig, dass ich echt schon befürchtete er würde ganz aufhören zu atmen. Ich habe zwar noch nie jemanden erlebt, der einen epileptischen Anfall hatte, aber das muss ein seiner – schoss es mir durch den Kopf. Die Ambulanz war innerhalb von vielleicht 6 Minuten da. Einem selber erscheint das ja immer endlos zu dauern, aber länger haben sie wohl nicht gebraucht. Leider Gottes musste ich gerade zu dem Zeitpunkt auch noch fürchterlich dringend zur Toilette, so dass Christopher mir sagte ich solle hoch in seine Wohnung gehen, er würde alles im Auge behalten nachdem die Sanitäter Thomas übernommen hatten. Oben in der Wohnung traf ich auf seine Frau und seine beiden Kinder, die mich ganz mitleidig ansahen und mir das Bad zeigten. Als ich wieder runterkam, hatte man Thomas schon in den Krankenwagen gelegt. Ich habe die nötigsten Sachen wie Kamera usw. schnell in den Kofferraum gelegt, meine Sachen geschnappt, den Wagen abgeschlossen und dann ging’s schon mit Blaulicht ins nahe gelegene Sentara General Hospital.
Innerhalb von wenigen Minuten waren wir dort angekommen und Thomas wurde auf der Bahre zur Notaufnahme geschoben. Er schaute mich total verwirrt an, fragte mich wo er denn sei und wollte immer wieder von der Bahre runterspringen. Er war bestimmt 20-25 Minuten komplett weggetreten und kann sich auch bis heute nicht daran erinnern was passiert ist.
Auch jetzt beim Schreiben kommen wieder die Erinnerungen hoch und damit auch viele Tränen, denn ich kann nicht beschreiben wie ich mich in dem Moment gefühlt habe. So hilflos … Und vor allem wussten wir bis dahin ja auch nicht genau was passiert war. Aber alle, wirklich ausnahmslos ALLE, haben sich ganz liebevoll um uns gekümmert!!! In der Notaufnahme wurden seine Personalien aufgenommen, ihm wurde Blut abgenommen und der Blutdruck gemessen. Danach wurde er ein Stück weiter auf den Gang geschoben.
Wie soll ich den Emergency Room erklären … mmmhhh … bei denen war das in U-Form angelegt. In der Mitte waren insgesamt 2 größere Zimmer (Schaltzentralen), wo die Mitarbeiter ihre Computer und so stehen haben und wo sie sich auch miteinander besprachen bzw. Röntgenbildschirme zum Anschauen von Aufnahmen. Da außen rum war dann der Gang und von dem Gang gingen dann verschiedene Räume ab (in U-Form), die alle mit Vorhängen voneinander getrennt waren. Eigentlich sollte Thomas sofort zur Computertomographie gefahren werden, aber just in diesem Moment landete ein Hubschrauber und brachte zwei Schwerverletzte von einem Verkehrsunfall. Oh Mann, so was habe ich ja noch nie live miterlebt … da ging die Post ab! Die beiden Schwerverletzten (ein Mann und eine Frau) brachten jeder mind. 180 kg auf die Waage (ohne Scherz!) und schrien wie am Spieß. Einem schnitt man noch im Laufen die Hose unten auf … ich habe echt gedacht ich bin im Film. Leider konnte ich mich auch nirgends anders aufhalten, weil Thomas da auf dem Flur auf seiner Bahre lag und auch nicht woanders hingeschafft wurde wo es vielleicht ruhiger gewesen wäre. Immer wieder fragte er mich was denn passiert sei, wie alles gekommen ist usw. Außerdem hatte er durch die Muskelkrämpfe wahnsinnige Schmerzen, aber es dauerte eine ganze Weile bis ihm jemand ein Schmerzmittel gab. Dafür bekam er von mir zwischendurch hochdosiertes Magnesium (Biolectra), was ich zu Hause auch schon mal nehme bei Wadenkrämpfen oder Krämpfen im Brustkorb (die ich eine Zeitlang mal vermehrt hatte). Das brannte zwar an seiner verletzten Zunge ganz fürchterlich, aber ich hoffte ihm dadurch etwas helfen zu können.
So wurden also erst die beiden Schwerverletzten zum CT gebracht und wir warteten bestimmt gute 2 Stunden auf die Untersuchung. Die hat dann zum Glück ergeben, dass im Kopf alles in Ordnung ist. Anhand der geschilderten Symptome und wohl auch des Blutbildes (da hab ich dann wiederum keine Ahnung von) hat es sich wohl tatsächlich um einen epileptischen Anfall gehandelt. Es hat aber eine ganze Weile gedauert bis der Neurologe Zeit hatte für ein kurzes Gespräch.
In der Zwischenzeit gab es so einiges zu erleben … das ist echt Wahnsinn was da so abging. Teilweise kamen die Patienten in Polizeibegleitung – einer der Polizisten (so ein recht junger Schnösel) kam sich GAAAAAANZ wichtig vor. Der hatte sich die Sonnenbrille falsch rum aufgesetzt (also mit den Gläsern am Hinterkopf), war voll bepackt mit Handschellen, Knüppel, Teaser, Knarre und was sonst noch alles da am Gürtel baumelte. Irre! Jedenfalls hielt er sich wohl für „Sonny“ Crockett aus Miami Vice – ich weiß es nicht. Er stolzierte da rum wie ein Gockel und kam so was von unsympathisch rüber. Der machte den Eindruck als ob er auch mal gerne den Knüppel zum Einsatz bringt. War zumindest meine Einschätzung – ich kann mich auch irren … Diese Stunden im „Emergency Room“ waren trotz allem sehr interessant, aber auf diese Erfahrung hätte ich lieber verzichtet.
Kurz vor 16 Uhr konnten wir das Krankenhaus wieder verlassen. Thomas war noch ein wenig wackelig auf den Beinen, aber sonst ging es ihm wieder einigermaßen gut. Wir haben in der Krankenhausapotheke noch Schmerzmittel und Keppra bekommen, ein Mittel für Epileptiker, das Thomas einnehmen sollte solange wir in den USA sind. Allerdings hat uns später seine Schwester mehr von diesem Zeug erzählt, von wegen welche Nebenwirkungen es hat usw. und da hat Thomas die Einnahme verweigert.
Dieses Bild hat Thomas aber beim Warten aufs Taxi noch schnell gemacht:
Was mich total gewundert hat ist die Tatsache, dass keiner von uns eine Kreditkarte für die Bezahlung sehen wollte. Wir sind sogar – nachdem wir die Medikamente abgeholt (die haben insgesamt ca. 165 € gekostet) und auch eine CD mit den CT-Aufnahmen bekommen hatten – noch mal zur Buchhaltung gegangen und haben nach einer Rechnung gefragt. Dort schaute man uns nur irgendwie mit großen Augen an, notierte sich unsere Krankenkasse hier in Deutschland mit Adresse, aber dann konnten wir auch gehen. Bis heute hat man sich nicht mit unserer Krankenkasse in Verbindung gesetzt und eine Rechnung haben wir auch nicht gesehen. Fand ich schon irgendwie alles etwas merkwürdig. Aber naja, wenn dem so ist … dann soll es so sein.
Wir ließen uns ein Taxi rufen, was uns zurück zu unserem Auto brachte. Zum Glück hatte ich auf dieser Rundreise auch die Erlaubnis zu fahren (sonst buchen wir meistens ohne Zweitfahrer) und so konnte ich uns zurück zum Hotel bringen.
Bevor Thomas ins Krankenhaus gefahren wurde, hat mir Christopher noch schnell seine Adresse und Tel.Nr. aufgeschrieben. Leider hat keiner geöffnet, als wir am Nachmittag bei ihm geklingelt haben, um uns für die schnelle Hilfe zu bedanken. So habe ich ihm dann aber später von Deutschland aus ein Päckchen geschickt mit einer Karte und Fotos von uns sowie deutschen Leckerli's wie Lebkuchen, Ü-Eiern, Mozartkugeln und NicNacs. Er hat sich auch ganz lieb bedankt und nun wollen wir im lockeren Kontakt bleiben. Wenn er nicht gewesen wäre - ich weiß nicht was ich gemacht hätte, denn es war wirklich eine RUHIGE Seitenstraße ohne viel Verkehr oder so ...
An diesem Tag gab’s dann weder Lunch noch Dinner – nur ein paar Chips und Cracker auf dem Zimmer. Ans Essen hatten wir beide keinen Gedanken verschwendet. Immer noch mit einem unguten Gefühl fiel ich um 20.30 Uhr in einen unruhigen Schlaf.
Thomas hat sich hier in Deutschland übrigens nicht weiter untersuchen lassen (obwohl man ihm dazu geraten hatte). Wir haben natürlich überlegt und auch im Internet recherchiert wie ein epileptischer Anfall hervorgerufen werden kann und sind zu dem Schluss gekommen, dass Thomas in den Monaten vor dem Urlaub viel zu wenig Schlaf hatte und auch irgendwie unter Stress stand, der den Anfall wohl hervorgerufen hatte. Eigentlich wollte er auch gar nicht auf diese Reise, aber naja, die ließ sich nun nicht einfach mal so kurz vorher absagen.
Bis jetzt ist kein neuer Anfall aufgetreten, aber er hat seine Einstellung auch ein wenig verändert, geht zeitiger ins Bett und versucht ruhiger zu sein.
Durch diesen Vorfall hat sich natürlich auch unsere weitere Rundreise ein wenig geändert – ich habe nicht all die Punkte angefahren, die eigentlich auf meiner To-do-Liste standen, sondern wir haben es ruhiger angehen lassen bzw. ich habe teilweise auch alleine etwas unternommen während Thomas sich ausruhen konnte.