22.10.2005 Ausflug zum CT Trolley Museum und Shoreline Trolley Museum (150 Meilen)Voller guter Laune überquere ich den Parkplatz auf dem Weg zu meinem Auto. Erst jetzt bemerke ich, dass ich mitten im Regen stehe. Wie habe ich ihn doch vermisst. Drei Tage hatte ich Sonnenschein. Drei Tage kein rhythmisches Klopfen auf dem Wagendach.
Der Tag beginnt ja schon gut. Auch den ersten Wasserfall, den ich heute früh besuchen möchte, finde ich nicht auf Anhieb. Ach, was soll’s, bei dem Regen habe ich jetzt auch keine Lust auszusteigen und danach zu suchen.
Beinahe verursache ich jetzt auch noch einen Unfall. Ich biege ab auf eine, so wie ich annehme, Hauptstraße und weiß, dass ich gleich evt. nach links abbiegen muss und schaue so angestrengt in diese Richtung, dass ich erst, als der Wagen von links auf mich zufährt, merke, dass ich rechts ein Stoppschild einfach liegengelassen habe. Eine spontan anberaumte Vollbremsung ordnet kurz den Inhalt des Wagens neu und testet die Flugfähigkeiten meiner Videokamera. Glück gehabt, nichts passiert.
Auf dem Weg nach Norden passiere ich Hartford. Das Städtchen ist größer als ich annahm und hat neben einer beachtlichen Skyline auch ein eigenes Verkehrschaos zu bieten. Scheinbar findet hier heute ein bedeutendes sportliches Ereignis statt, denn nach dem Abzweig zum Stadium wird die Fahrt gleich wieder angenehmer.
Das Connecticut Trolley Museum bei Windsor Locks überrascht mich gleich doppelt. Zum einen veranstalten sie heute ihren Pumpkin Patch, einer Art Kürbispicknick im Hinblick auf das bevorstehende Halloweenfest, für das sie gleich mal den Eintritt von 7 auf 10$ erhöhen, zum anderen haben sie eigentlich überhaupt nichts zu bieten.
Ok, Familien werden sicher auf ihre Kosten kommen und froh sein, ihre Kinder für einen ganzen Tag beschäftigt zu haben. Eine große Wagenhalle ist bunt geschmückt und es gibt eine Reihe Spieltische, Bastelecken und Picknickplätze, doch wo ist das ganze Wagenmaterial? Zwei heruntergekommene Straßenbahnen drehen ihre Runden auf der kurzen Hausstrecke. Soll das schon alles sein? Sind das wirklich deren Prachtstücke, die sie für einen solchen besonderen Tag herausholen?
Der Parkplatz ist so gut gefüllt mit Autos, dass ich wirklich annahm, das sei hier der Geheimtipp der Region, doch ich verdrücke mich lieber klammheimlich ins Shoreline Trolley Museum bei New Haven.
Wie schon in Kennebunkport ist es auch hier möglich, sich als Gast hinter die Kurbel einer Straßenbahn zu stellen, was hier sogar einige Dollar billiger ist, dafür mit etwas Papieraufwand verbunden ist. Um hier selber fahren zu dürfen, muss man offiziell zum Museum gehören. Der zu entrichtende Preis ist also praktisch der Jahresbeitrag und die Fahrt an sich gibt es kostenlos dazu. So lange sie keine Kreditkartennummer verlangen, mache ich das alles mit. Sollen sie mir doch ruhig ein Jahr lang ihre Vereinszeitschrift nach Deutschland schicken. Wenn sie unbedingt möchten. Ich habe später mal nachgerechnet. Die frankieren die Briefe mit einer 80 Cent Briefmarke, macht 9,60$ im Jahr, das heißt, etwa ein Drittel der Gebühr geht für die Post drauf. Und dann wundern sich die Museen, dass sie knapp bei Kasse sind.
Am Visitor Center steht bereits eine Bahn bereit, um Besucher ins Depot zu bringen, wo auch hier heute Pumpkin Patch gefeiert wird. „Die Bahn ist allerdings ein wenig tückisch. Die Bremse wird gelöst, wenn man auf Bremspedal steigt. Du bekommst eine andere Bahn.“
Ich könnte jetzt zwar mit meinen Erfahrungen aus Kennebunkport glänzen, aber will die Konkurrenz hier lieber nicht erwähnen. Ich will, dass die mich als absoluten Neuling ansehen.
Am Depot bekomme also einen anderen Wagen und darf sofort loslegen, wenn der Gegenzug passiert hat. Bevor ich auf der Hauptstrecke Stoff geben kann, müssen noch einige Weichen überquert werden, wobei jeweils der Fahrhebel in Nullposition gestellt werden muss. Ansonsten würde uns die Sicherung um die Ohren fliegen. Man braucht also ein wenig Fingerspitzengefühl, wann man die Bahn einfach nur laufen lässt und wann man ein paar Kohlen bzw. Watt nachlegt. Aber hier muss ich von Anfang an alles alleine machen. Ich bekomme nur Anweisungen und gut gemeinte Ratschläge. Genauso habe ich mir das ja auch vorgestellt. Wenn die Sicherungen geknackt haben, ist die Weiche passé und ich kann schneller fahren.
Die Strecke ist recht kurvenreich und damit auch fahrtechnisch nicht so langweilig. Ich muss häufiger abbremsen und wieder beschleunigen. Auch einige gedachte Haltestellen werden angefahren, um richtigen Fahrbetrieb zu simulieren.
Mein Wagen
Am Ende der Strecke angekommen, gibt es keine Wendeanlage, sondern ich muss den Führerstand wechseln und wieder zurückfahren. Dazu gehört es auch, auf der einen Seite der Bahn den Stromabnehmer abzuziehen und auf der anderen Seite die Trolley Stange in die Leitung wieder einzufädeln. Auf der Rückfahrt habe ich auch einen Blick für die schöne Landschaft, durch die die Strecke verläuft. Hier würde ich gerne täglich mit der Bimmelbahn zur Arbeit fahren.
Am Depot ist noch nicht Schluss. Man will mir ausdrücklich die Gelegenheit geben, eine volle Runde zu fahren. Das lobe ich mir. Hier ist der Gast wirklich König. Routiniert wechsle ich also am Visitor Center wieder die Trolley Stangen und ernte von so manchem Möchtegernbahnfan höchst neidische Blicke. Das tut unheimlich gut!
Kurz vor dem Depot gehe ich es allerdings doch ein wenig zu leichtsinnig an. Ich fahre etwas zu schnell über eine Weiche und komme danach nicht mehr richtig in Fahrt. Der Stromabnehmer ist raus gesprungen. Wir haben keinen Saft mehr. Also aussteigen, einfädeln und weiterfahren. Ist mir glücklicherweise nicht auf einer riesigen Kreuzung bei Stoßverkehr passiert.
Am Depot angekommen, das ganze noch ein drittes Mal und wieder rückwärts in die Garage einparken. Stange runter, Hebel abziehen, Feierabend und Glückwunsch zum Ehrenstraßenbahnführerschein.
Ich frage mich durch zu Jeff Hakner, mit dem ich zuvor großen E-Mail Kontakt hatte, als ich mich für dieses Programm angemeldet hatte. Jeff gibt mir direkt eine Privatführung hinter die Kulissen, durch die Werkstatt, unter eine Straßenbahn, die sie gerade aufarbeiten und weiter zu Hallen mit Rollmaterial, was sie irgendwann mal restaurieren wollen. Das ganze sieht nach verdammt viel Arbeit aus. Hier lassen sie normalerweise keinen Touristen herumturnen, aber irgendwie brauchen wir ja ein Ziel, wenn zwei Fachidioten sich über Fahrpläne, Techniken und sonstigen Langeweilereien europäischer und amerikanischer Nahverkehrsgesellschaften unterhalten.
Er führt mich zur Wagenhalle, wo sie einen echten New Yorker U-Bahn Wagen abgestellt haben. Eine Besonderheit zwischen all den „normalen“ alten Straßenbahnwagen. Da man unmöglich seitliche Stromschienen in einem Museum installieren kann, wo Touristen unachtsam Gleise überqueren, haben sie dem Wagen eine Trolley Stange verpasst und ihn damit zu einem echten Unikat gemacht. Das Problem ist nur, diese Stange einzufädeln, wenn sie einmal aus der Leitung herausgesprungen ist oder am Ende der Linie, weil man dafür rauf auf’s Dach muss. Daher fahren sie den Wagen so ungern im Herbst oder bei Nieselregen (beides trifft auf heute zu). Dabei hatte ich mich so darauf gefreut, einmal diesen Wagen zu fahren und mich wie Mr. Green im Film „Stoppt die Todesfahrt der U-Bahn 1-2-3“ mit Walter Matthau zu fühlen, doch Jeff macht für mich eine kleine Ausnahme. Als schon alle Touristen längst wieder auf dem Heimweg sind, fahren wir beide den Wagen im Depot ein wenig hin und her.
Für dieses Erlebnis nehme ich auch gerne eine weitere Dunkelfahrt zurück zum Motel in Kauf. Heute ist’s ja nicht so schlimm, ich kenne ja den Weg bereits.