Tag 15, Teil 2: BelleWir haben sie nun seit vielen, vielen Jahren nicht mehr gesehen: Belle.
Damals, 1997, als ich zum ersten Mal in den USA war, mit meiner Mutter, meiner kleinen Schwester und meiner besten Freundin, haben wir in Bandera nach einem Stall gesucht, in dem wir Mädels reiten gehen konnten. Meine Freundin und ich waren damals sechzehn und meine Schwester zehn Jahre jung.
Irgendwie sind wir dann auf den "Lost Wind Livery Stable" gekommen, ich glaube, irgendwo lag ein Flyer davon auf, und fuhren einfach mal hin, um zu gucken, ob wir da reiten können.
Wir mussten über eine extrem schlammige Dirtroad schlittern, um zu einer grossen Lichtung zu kommen, wo der Stall stand (während wir später reiten gingen, pulte Uschi tonnenweise schwere halb getrocknete Schlammbrocken zwischen den Reifen hervor, damit wir überhaupt wieder wegkamen).
Da war eine Frau, Belle, ein wahres Original, und ihre paar Pferde, und wir durften mit ihr ausreiten gehen. Und taten es immer und immer wieder. Wir durften mithelfen, die Pferde zu versorgen und haben diese Frau sofort total ins Herz geschlossen. Und waren fürchterlich traurig, wieder abreisen zu müssen.
Danach war ich noch zwei Mal mit Uschi da, 1998 und 1999, wir sind viele Male mit Belle ausgeritten, haben Karten gespielt und am Lagerfeuer unter dem Sternenhimmel miteinander gesungen und Gitarre gespielt und mit der Zeit hat sich eine schöne Freundschaft zwischen Belle, meiner Mutter und mir entwickelt. Einige Jahre lang haben Belle und ich uns fleissig Briefe geschrieben und ich habe ihr ein paar Mal selbst gebastelte Dinge geschickt.
Irgendwann brach der Kontakt dann ab, ihre Briefe kamen zurück, sie ging nicht mehr ans Telefon...und wir befürchteten im besten Fall, dass sie umgezogen, im schlimmsten Fall, dass ihr etwas zugestossen war.
Wir haben Belle nie vergessen über all die Zeit und uns immer und immer wieder gefragt, was wohl mit ihr geschehen sein könnte.
Nun, kurz vor unserem Urlaub, haben wir sie endlich wieder erreicht. Sie ist umgezogen und wir hatten zwar die neue Adresse, aber die Post hat die Briefe zu mir zurückgesandt, keine Ahnung warum. Wir sind auch ein paar Mal umgezogen und sie hatte die neuen Adressen nicht. Und ans Telefon geht sie nur, wenn sie weiss, wer dran ist, meine Mutter hatte aber nie auf den Beantworter gesprochen, bis nun kurz vor dem Urlaub endlich mal.
Wir wussten nun also, dass Belle noch lebt und immer noch in der Umgebung von Bandera wohnt.
Und heute werden wir sie endlich, endlich wiedersehen.
Wir verabreden uns an einer Dirtroad, die zu ihrem Wohnwagen, den sie immer noch bewohnt, führt. Und warten gespannt, bis wir sie in der Ferne als Punkt auftauchen sehen. Sie kommt zu Fuss und ist immer deutlicher zu erkennen, je näher sie kommt. Ihre Gestalt, klein und dünn, ist unverkennbar.
Und endlich ist sie da. Und es ist unglaublich, sie live vor uns zu sehen. Wir umarmen uns und Belle ist verlegen, wie immer, und wie damals, versucht sie, mit allen Mitteln von ihrer Berührtheit abzulenken, aber wir kennen sie gut, unsere Belle und sehen ihr an, wie sie sich fühlt.
Wir fahren alle zusammen die Meile zu ihrem Zuhause (und finden heraus, dass unser Auto definitiv nicht für diese Art von "Strasse" gebaut worden ist). Auf ihrem Gelände begrüsst uns die fröhliche "Rainy", Belles Hund, und im Schatten döst ein uraltes blindes und taubes Pferd vor sich hin. Beide Tiere hat sie von irgendwo gerettet, wie es typisch ist für Belle.
Sie hat sich einen kleinen Garten angelegt, der zum wahren Vogelparadies geworden ist. Hier sehen wir zum ersten Mal in unserem Leben einen Bluebird. Auch hübsche rote Vögel fliegen herum, ich weiss grad nicht, was für welche das sind.
Eine Art Antilope von der Ranch nebenan:
"Cousin Hump"
:
Bienchen, aus dem Hunde-Wassernapf gerettet und zum Trocknen in die Sonne gesetzt, dafür durfte sie für ein Foto herhalten:
Wir sitzen beisammen und trinken kalten Tee und wieder hier zu sein, mit Belle, ist irgendwie unwirklich, aber total schön. An der Wand hängt ein Lederteil mit aufgenähter Perlen-Arbeit, das sie damals von mir geschenkt bekommen hat, sie hat es tatsächlich immer noch, ebenso einen Lederkalender, den sie hütet wie ihren Augapfel. Das freut und berührt mich ungemein.
Später nehmen wir sie mit zu unserer Station, sie möchte unbedingt sehen, wie wir wohnen.
Wir fragen sie, ob sie auf meinem Laptop auf DVD die Szene von unserem früheren Urlaubsfilm schauen möchte, als wir zum ersten Mal zu ihrem Stall kamen. Belle sagt ja, gerne, und so gucken wir uns das zusammen an.
Belle sagt kein Wort mehr während der ganzen fünf Minuten, in denen die Szene läuft. Sie ist sichtlich ergriffen, denn inzwischen mussten sie aufgrund eines Unfalles alle ihre geliebten Pferde verkaufen und sie vermisst sie fürchterlich.
Als die Szene vorüber ist, braucht sie erst mal ein paar Minuten für sich. Irgendwie ist das alles doch sehr viel für sie. Sie lebt sehr, sehr einfach, empfängt nie Besuch, mag - ausser ein paar Ausnahmen, keine Leute um sich, besitzt keinen Computer oder TV und hat uns ebenfalls sehr vermisst.
Und nun stehen wir leibhaftig hier, fahren mit ihr herum und sie sieht ihre Pferde und sich selbst auf dem Laptop - und ist einfach überwältigt.
Später sitzen wir auf der Veranda und reden darüber. Es entsteht ein wunderschönes Gespräch, während dem Belle uns viel von sich zeigt und wir erzählen uns all unsere Erinnerungen an früher.
Und ich gebe ihr einen Spruch mit auf den Weg, der mir immer hilft, wenn ich Vergangenes schmerzlich vermisse:
If it hurts, we did it right.
Wir bringen Belle zurück nach Hause und verabschieden uns herzlich, aber kurz. Sie kann Abschiede nicht ausstehen, konnte sie schon früher nicht. Wir versprechen, nun nicht mehr ein ganzes Jahrzehnt zu warten, bevor wir wiederkommen.
Und dann geht sie davon, so wie sie gekommen ist, die kleine Belle, die wir so gerne haben, und verschwindet irgendwann um eine Ecke, wir winken ihr nach und warten, bis wir nichts mehr von ihr sehen.
Sehr berührt und glücklich, Belle wieder gefunden zu haben, fahren wir zu Brick's, um ein letztes Mal da zu essen und unserer Lieblings-Angi ihre Schoki zu bringen.
Angi freut sich, wir tauschen Adressen aus, sie wird Schokolade zum Geburtstag kriegen. Sie zeigt uns auf ihrem Handy Bilder von ihrem Haus, ihren sieben Kids und den vier Hunden und so klingt auch dieser sehr spannende, eindrückliche und überaus herzerwärmende Tag langsam aus.
Bevor aber endgültig Schluss ist für heute, möchte Uschi noch kurz zu einem Reha-Center hier in Bandera fahren. Doug, der Ex-Bassist aus Arkey's Bar, der ja leider an Krebs erkrankt ist und dem es nicht wirklich gut geht, ist momentan hier "zu Hause". Doug und seine Frau Carol bedeuten meiner Mutter sehr viel, denn sie kennt sie seit ihren Anfängen hier in Bandera, als es sie zum allerersten Mal zufällig hierher verschlagen hat.
Auch ich erinnere mich gerne an den grossen Doug, dessen Umarmung sich immer wie von einem weichen lieben Bär angefühlt hat.
Wir wissen nicht, wann wir wieder nach Bandera kommen und ob Doug dann noch lebt. Darum möchte Uschi ihn unbedingt nochmals sehen.
Ich entscheide mich dazu, nicht mit hineinzugehen, ich habe heute schon genug Berührendes erlebt und bin auch so schon traurig genug über den Zustand von Doug. Ich warte draussen, setze mich auf den Gehsteig und streichle eine hübsche streunende Katze.
Etwas später kommt Uschi mit Dougs Schwester raus, wir stellen uns einander vor und ich erfahre, dass es Doug wirklich schlecht geht. Das ist wirklich total traurig.
Schön ist, dass er sich trotzdem ganz doll gefreut hat, Uschi zu sehen und zu wissen, dass ich auch da bin. Und Uschi ist sehr, sehr froh darüber, Doug nochmals gesehen zu haben.
Auch sowas gehört zum Leben.
Nachdenklich und gleichzeitig traurig und glücklich fahren wir zu unserer Station und tun nichts mehr, ausser ins Bett zu gehen.