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Autor Thema: Sakura, Sushi, Samurai - Im Frühling 2014 durch Japan  (Gelesen 50746 mal)

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Floridiana

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Re: Sakura, Sushi, Samurai - Im Frühling 2014 durch Japan
« Antwort #165 am: 05.07.2014, 14:33 Uhr »
Klasse Fotos und Bericht! Hier muss ich unbedingt alles in Ruhe nachlesen. Wir haben gerade den Flug von Tokio nach Hause gebucht. Ankunft per Schiff in Osaka. Fruehjahr 2015

Flicka

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Re: Sakura, Sushi, Samurai - Im Frühling 2014 durch Japan
« Antwort #166 am: 17.08.2014, 15:31 Uhr »
Liebe Mitreisende, ganz langsam kommt dieser Reisebericht wieder in die Gänge.

Nachher gibts den nächsten Reisetag. Wir starten in Osaka und fahren südwärts in die Berge nach Koya-San, zum Berg Koya. Zur Einstimmung könnt ihr euch hier schon einmal ein wenig einlesen:


Wissenswertes über... Koya-san und den japanischen Shingon-Buddhismus

Alles begann, als im Jahr 804 ein junger japanischer Mönch namens Kukai nach China reiste und dort bei einem berühmten Lehrmeister seine buddhistischen Studien aufnahm. Schon in dieser Zeit begann er, sein eigenes Konzept des Buddhismus zu entwickeln, aus dem schließlich der Shingon-Buddhismus hervorging.

Nach seiner Rückkehr nach Japan wurde er zunächst Abt in Kyoto, begann aber ab dem Jahr 819 mit der Errichtung eines buddhistischen Zentrums in dem damals kaum zugänglichen Berggebiet Koya-san. Seine Lehren erläuterte er in über 50 Abhandlungen, die bedeutendste ist die über die Buddhawerdung. Danach hat der Mensch die Möglichkeit, über esoterische Praktiken, z.B. Meditation, bereits in diesem Leben die Buddhawerdung zu erreichen, also erleuchtet zu werden. Eine solch schnelle Erleuchtung war ein deutlicher Bruch mit der buddhistischen Tradition.

Kukai starb schließlich im Jahr 835 – vielleicht aber auch nicht. Nach Auffassung seiner Anhänger erreichte er meditierend die Buddhaschaft und sitzt bis heute in diesem Zustand in seinem Mausoleum auf dem Koya-san. Um dieses Mausoleum herum entstand der Oku-no-in, der größte Friedhof Japans. Nach Auffassung des Shingon-Buddhismus wird Miroku, der künftige Buddha, hier erscheinen, und nur Kukai wird in der Lage sein, seine Botschaften an die Menschheit zu verstehen. Jeder Shingon-Buddhist, der etwas auf sich hält, will also hier beerdigt werden, um gemeinsam mit Kukai die Ankunft des Miroku zu erwarten. Damit Kukai solange durchhält, wird ihm täglich vor seinem Grab symbolisch Essen dargebracht, um ihn in seiner Meditation zu unterstützen.

Heute ist Koya-san das Zentrum des Shingon-Buddhismus, mit 10 Millionen Anhängern und 4000 Tempeln in ganz Japan. In Koya-san selbst stehen über 100 Tempel. In vielen kann man übernachten und an den morgendlichen Zeremonien teilnehmen. Kukai wird heute unter seinem Ehrentitel Kobo Daishi, Großmeister der Lehrverbreitung, verehrt.

Flicka

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Re: Sakura, Sushi, Samurai - Im Frühling 2014 durch Japan
« Antwort #167 am: 17.08.2014, 16:36 Uhr »
9. April 2014: Osaka - Koyasan

Heute nacht habe ich nicht gut geschlafen. Die Zimmer hier sind ziemlich hellhörig und das Hotel hat insgesamt die Akustik einer Bahnhofshalle. Die Geräusche von zuschlagenden Zimmertüren und Aufzügen schallern jedenfalls ungedämpft durch die Gänge. Trotzdem bin ich gutgelaunt, als ich um viertel vor sieben auschecke und durch die leeren Straßen zum Bahnhof gehe. Die Schließfächer für Koffer sind sofort wieder gefunden, und hier stelle ich fest, dass ich mit dem 500-Yen-Stück, das ich mir extra für das Schließfach zurückgelegt habe, gar nichts anfangen kann, weil das Ding nur 100-Yen-Münzen nimmt. Zum Glück kann ich noch genau 5 Stück aus diversen Geldbeuteln und Hosentaschen zusammenkratzen. Der Koffer muss also bis morgen Mittag hier im Koffergefängnis bleiben, und ich mache mich mit Rucksack und kleiner Tasche auf den Weg.






Mein Zug fährt um 7.20 Uhr nach Gokurakubashi ab und ist noch erfreulich leer, als ich einsteige. Das ändert sich zwar im Verlauf der etwa hundertminütigen Fahrt ab und zu, aber ich habe meinen Sitzplatz und kann entspannt aus dem Fenster schauen, und gegen Ende der Fahrt sind ohnehin nur noch wenige Reisende im Zug. Die letzte halbe Stunde arbeitet sich die Lok ächzend immer weiter den Berg hinauf, dann ist es geschafft und Gokurakubashi erreicht. Von hier aus bringt mich eine Zahnradbahn weiter bis zum Bahnhof Koyasan.








Ab hier geht es mit dem Bus weiter. Ich bekomme noch einen hilfreichen Übersichtsplan ausgehändigt, dann fährt der Bus auch schon ab. Ich steige an der Station Rengedani aus und gehe eine lange Auffahrt hinauf bis zum Tempel Fudo-in. Hier will ich heute übernachten.




Aber kann man hier überhaupt übernachten? Niemand scheint da zu sein, als ich mein vorsichtiges „Konnichiwa“ durch die Gänge rufe, also ziehe ich erst mal die Schuhe aus und die Pantoffeln an und mache mich auf die Suche. Kurz darauf kommt mir auch mit einem „Sumimasen“ ein Mönch entgegen. Er findet meine Buchung, ich gebe den Voucher und meine Übernachtungstasche ab und ziehe wieder los. Es ist viertel vor zehn, ich habe den ganzen Tag Zeit, Koyasan zu erkunden.

Das will ich entlang der alten Pilgerroute machen. Die führt den Berg hinauf und durch das Daimon-Tor am westlichen Ende von Koyasan. Also auf in den Bus, zunächst zur zentralen Senabashi-Station und ab hier zum Daimon-Tor. Wäre ich nicht mit der Zahnradbahn den Berg hinaufgefahren, sondern als echter Pilger zu Fuß gegangen, wäre ich wahrscheinlich nach alter Tradition den Waldweg am Daimon-Tor heraufgekommen, den Choishi-Michi-Weg, auf dem ich probehalber ein paar Schritte gehe. Ganz schön steil.




Von hier aus führt der Weg durch das Daimon-Tor, vorbei an den grimmigen Wächtern. Was, du hast gestern abend deinen Oktopus nicht gegessen? scheinen sie zu fragen.






Ab hier führt der Weg durch den Ort, entlang der Straße. Besonders malerisch ist das erst mal nicht. Ich komme an ein paar Geschäften, Autowerkstätten und kleineren Schreinen vorbei, kaufe mir in einer Bäckerei etwas zu essen, dann kann ich nach links abbiegen und komme an einem Teich vorbei. Laut der englischen Ausschilderung neben der Brücke soll im Teich ein freundlicher weiblicher Drache (!) leben. Na, die haben einen feinsinnigen Humor, die Japaner.




Nur noch ein paar Schritte, dann ist der Garan erreicht, Koyasans zentraler Tempelkomlex. Hier sieht man auch schon ein paar Mönche und weißgekleidete Pilger. Im Inneren der Pagode gibt es prächtige Buddha- und Götterstatuen zu sehen (aber nicht zu fotografieren). Das Gelände ist übrigens Schauplatz einer erstaunlichen sportlichen Leistung. Als der junge Mönch Kukai in Japan weilte, warf er einen zeremoniellen Gegenstand nach Japan, und dieser Gegenstand landete auf einem Baum auf dem Garan.












Auf dem Garan stehen verschiedene Hallen und Pagoden, und natürlich Lampen und Statuen. Er hier scheint zu sagen: Ich trage zwar ein albernes Lätzchen, aber pass bloß auf! Ich weiß, was du letzten Abend nicht getan hast, nämlich deinen Oktopus zu essen. Und außerdem hast du vorhin am Tempeleingang deine Schuhe auf den Rost gestellt und nicht auf den Steinboden, ich habs genau gesehen! Na ja, erwischt....



In der Nähe steht eine weitere Tempelhalle, in der offenbar gerade eine Zeremonie stattfindet - die wartenden Mönchen schauen ab und zu mal durch ein Gucklock hinein und vertreiben sich ansonsten scherzend und lachend die Zeit.




Weil es gerade erst mittag ist und ich noch viel Zeit habe, schaue ich noch im Reihokan-Museum vorbei. Dort gibt es eine eindrucksvolle Anzahl grimmig ausschauender Wächter-Statuen und außerdem Dinge wie ein Mandala, für das im 13. Jahrhundert das Blut eines Shoguns oder anderen Samurai unter die Farbe gemischt wurde. Das finde ich jetzt doch ein bisschen makaber. Fotos machen ist nicht erlaubt, schade.

Dann schaue ich mir noch den nahen Kongobuji-Tempel an. Dort kann man schöne Wandgemälde vom Landschaften, grazilen Reihern und Blüten sehen. Please refrain from taking photos, heißt es auf einer Vielzahl von Hinweisschildern, auf denen zur Verdeutlichung noch ein durchgestrichener Fotoapparat zu sehen ist. In unsichtbarer Tinte steht da allerdings auch geschrieben, dass das nur gilt, wenn man nicht aus Frankreich kommt. Die Angehörigen der Grande Nation dürfen hier nämlich fotografieren so viel sie wollen und sich dabei auch noch an den alten Türen und Pfosten anlehnen, damit die Fotos auch was werden. Der Rest der Menschheit beschränkt sich auf Fotos des Steingartens, wo am Rand noch Schneereste liegen.








Im Ort sind inzwischen auch einige Mönche unterwegs und machen offenbar Einkäufe.




Ich folge der Straße nach Osten, immer vorbei an Geschäften und Tempeln. In einer Pagode ganz dicht an meiner Unterkunft ist Fotografieren erlaubt, dafür will mich der Mönch überreden, meinen Namen auf eine Kerze zu schreiben, das wäre ein Glückszauber. Es ist schon lustig, wie dicht hier Kunst, Kitsch und Kommerz, Glaube und Aberglaube zusammenliegen.












Ich kaufe keine Glückskerze, spende aber sicherheitshalber vor den Augen des Mönchs 100 Yen, nicht dass ich noch mit einem bösen Fluch belegt werde. Von hier aus sind es dann nur noch ein paar hundert Meter bis zum Eingang des Okunoin über die Ichinohashi-Brücke. Ich folge einer Besuchergruppe und finde mich unter hohen Bäumen, umgeben von verwitterten und moosbewachsenen Steinen wieder, auf dem größten Friedhof Japans, auf dem etwa 2 km langen Weg zu Kobo Daishis Mausoleum. Für Orte wie diesen ist der Ausdruck „morbider Charme“ vermutlich erfunden worden.











Vor der Brücke zum heiligen Bereich stehen noch einige Mizumuke Jizo, Statuen, an denen man für Familienmitglieder beten kann.




Hinter der Brücke erreicht man den heiligen Bereich, in dem keine Fotos erlaubt sind. Zuerst kann man die Laternenhalle sehen, dahinter ist das Mausoleum von Kobo Daishi. Fotos sind hier natürlich strengstens verboten. Ich gehe also in andächtiger Stimmung zur Laternenhalle, aber was ist das? Die Mitte der Halle besteht aus einer Baustelle, ich sehe ein Gerüst und Arbeiter, die gerade an irgendetwas auf dem Boden Liegenden mit dem Bohrschrauber herumbohrschrauben, natürlich bei entsprechender Geräuschkulisse. Nebendran stehen ein paar Mönche mit Mundschutz und beaufsichtigen die Bauarbeiten. Lustig: Die Bauarbeiter haben alle Helme auf, aber ihre Schuhe haben sie natürlich vorschriftsmäßig am Gang ausgezogen und laufen mit Strümpfen auf der Baustelle herum. Denn: Auf Tatami-Matten immer nur mit Strümpfen! Irgendwie ist das für mich ein Sinnbild für Japan: Moderne Technik, aber die alten Traditionen werden gepflegt.

Anschließend wird noch kurz Kobo Daishi besucht, dessen kleines Mausoleum rechts und links von Skulpturen von Lotosblüten flankiert wird, dann trete ich den Rückweg an. Von hier aus kann man einen kürzeren Weg zur Straße nehmen, was ich auch tue. Dieser Bereich des Friedhofs ist moderner und manchmal etwas obskur.








Von hier aus nehme ich den Bus zurück zu meiner Unterkunft und kann jetzt, um vier Uhr nachmittags auch einchecken. Ein Mönch bringt mich ins Zimmer, wo schon meine Tasche wartet. Mein Zimmer heißt „Sakura“, also Kirschblüte, das finde ich kawaii und sage das auch dem Mönch. Der lacht und erklärt mir alles, unter anderem die Klimaanlage, denn ich habe mich nach einem Hin- und Herüberlegen dann doch für einen etwas moderneren, komfortableren Tempel entschieden statt des ursprünglich anvisierten „authentischeren“ Tempels.




Zu meinem Zimmer gehört eine eigene Toilette, sogar einen Fernseher gibt es, aber der bleibt heute mal aus. Stattdessen ziehe ich die bereitliegenden Yukata an und gehe in das tempeleigene Onsen. Mmmh, das tut gut. Schade nur, dass die Japanerinnen fluchtartig das Becken verlassen, als ich in der Tür erscheine. Wahrscheinlich haben sie Angst, dass ich staubig wie ich bin in die große Wanne steigen und das Wasser verseuche, dabei schrubbe ich mich doch vorher gründlich ab. Das sieht bloß keiner mehr, denn sie sind ja schon alle geflüchtet.

Um 18 Uhr holt mich ein Mönch im Zimmer zum Abendessen ab. Ich gehe in Yukata und werde – was ich jetzt gar nicht schlecht finde – in einen Speisesaal geführt, in dem „normale“ Tische stehen. Also kein mühsames Knien auf dem Boden, während an strategisch wichtigen Stellen die Yukata auseinanderrutscht. Stattdessen ein Abendessen aus einer Vielzahl unterschiedlicher vegetarischer Speisen. Es gibt natürlich Nudelsuppe, außerdem Gemüse-Tempura, Tofu, verschieden eingelegte Sprossen, Kartoffeln, Reis und einiges, was ich nicht identifizieren kann. Alles schmeckt lecker, und ich trinke dazu Bier, das ich vorhin schon bei dem Mönch vorbestellt habe. Während des Essens wird mir bewusst, dass dies der erste Abend auf der Reise ist, an dem ich mich wirklich in Japan angekommen fühle.






Nach dem Abendessen schaue ich mich noch kurz im Tempelgebäude um. Als ich schließlich um viertel nach sieben wieder ins Zimmer komme, ist der Tisch beiseite gerückt und das Futon-Bett gemacht.






Ich schlüpfe in den Schlafanzug, schreibe noch den Reisebericht des heutigen Tages und lese schließlich noch eine Weile. Im Zimmer ist es völlig still, das bin ich gar nicht mehr gewöhnt. Schnell noch den Wecker gestellt, dann schlafe ich auch schon bald ein.

Ausgaben des Tages

Schließfach Y 500
Pagode Y 200
Reihokan-Museum Y 600
Kongobuji-Tempel Y 500
Getränke Y 250
Snacks Y 500
Bier zum Abendessen Y 700
1 ÜN im Tempel Fudo-in inkl. Abendessen und Frühstück Y 15.200 (vorab gezahlt)
Mitten in einer anstrengenden Reise Ruhe und Einkehr zu finden: unbezahlbar

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Re: Sakura, Sushi, Samurai - Im Frühling 2014 durch Japan
« Antwort #168 am: 17.08.2014, 20:07 Uhr »
Welcome back :) :) :)

Ich kann auch google fragen, frage aber liebr dich: Was ist denn "Onsen" genau und was macht man da genau?

Flicka

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Re: Sakura, Sushi, Samurai - Im Frühling 2014 durch Japan
« Antwort #169 am: 17.08.2014, 20:22 Uhr »
Schön, dass du noch mit an Bord bist!  :D

Dann lehn dich mal entspannt im Onsen zurück, während ich mich wieder gedanklich in die japanische Badekultur versenke.  :wink:

Eigentlich habe ich das Wort "Onsen" hier wohl falsch verwendet und dem Badebecken im Tempel zu viel Ehre angedeihen lassen. Ein Onsen ist nämlich eine "Badeanstalt" mit heißem Quellwasser, geht also Richtung Thermalbad. Es kann sein, dass es im Tempel tatsächlich Wasser aus einer heißen Quelle gab, aber wahrscheinlich war es nur aufgeheiztes "normales" Wasser. In besonders schönen Onsen gibt es Außenbecken, genannt Rotenburo, das normale Becken ist aber innenliegend, heutzutage meist nach Männlein und Weiblein getrennt und so groß, dass ein paar Leute reinpassen. Dort sitzt man nach einem harten Arbeits- oder Besichtigungstag und entspannt im heißen Wasser.

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Re: Sakura, Sushi, Samurai - Im Frühling 2014 durch Japan
« Antwort #170 am: 17.08.2014, 20:33 Uhr »

Schön, dass du noch mit an Bord bist!  :D

Ja, die pure Höflichkeit und ab und zu ein Blick aus dem Fenster zur Prüfung des Wetters haben mich davon abgehalten mal nachzufragen ;)

Also ist Onsen im Zweifelsfall eine Art Whirlpool? Oder ist es mit förderlichen Ritualen verbunden wie beispielsweise Kneipp oder Sauna? Oder vielleicht mit irgendwelchen spirituellen Ritualen?

Merkwürdig, dass die japanischen Mädels da abgehauen sind, das hätte ich eher umgekehrt von Touristinnen erwartet, wenn ungeahnt Einheimische reinkommen ;)

Flicka

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Re: Sakura, Sushi, Samurai - Im Frühling 2014 durch Japan
« Antwort #171 am: 17.08.2014, 20:58 Uhr »

Schön, dass du noch mit an Bord bist!  :D

Ja, die pure Höflichkeit und ab und zu ein Blick aus dem Fenster zur Prüfung des Wetters haben mich davon abgehalten mal nachzufragen ;)



 :oops: :oops: :oops:



Also ist Onsen im Zweifelsfall eine Art Whirlpool? Oder ist es mit förderlichen Ritualen verbunden wie beispielsweise Kneipp oder Sauna? Oder vielleicht mit irgendwelchen spirituellen Ritualen?

Merkwürdig, dass die japanischen Mädels da abgehauen sind, das hätte ich eher umgekehrt von Touristinnen erwartet, wenn ungeahnt Einheimische reinkommen ;)


Vielleicht gibt es moderne Onsen mit Whirlpool, aber normalerweise ist das einfach nur ein Becken mit heißem Wasser. Sonderlich viel weiß ich leider nicht über die japanische Badekultur, aber außer dass man sich zwischendurch auch mal aus dem Wasser begibt und sich kalt (?) abwaschen kann, gibts im Onsen wohl nicht viel zu tun. Es scheint wohl auch ein wenig ein gesellschaftlicher Treffpunkt zu sein, mit Freundinnen oder auch Arbeitskollegen. Ich persönlich kann mir zwar nicht vorstellen, dass man in Deutschland gemeinsam nackt mit dem Chef in eine große Wanne steigt, aber Japan ist halt komisch.  :wink:

Und Japaner(innen) befürchten wohl, dass die ungehobelten Ausländer sich vor dem Bad nicht anständig waschen, bevor sie in das heiße saubere Wasser steigen, deshalb treten sie schon mal vorsorglich die Flucht an, wenn die staubige Gefahr in der Tür erscheint.  :wink:

Inspired

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Re: Sakura, Sushi, Samurai - Im Frühling 2014 durch Japan
« Antwort #172 am: 17.08.2014, 21:04 Uhr »
Aha, also große Wanne? Tja, in Deutschland würde man sich das Vergnügen ja auch allerhöchstens zu zweit gönnen, wenn es nicht der öffentliche Whirlpool im Wellnessbad im nächsten Kurort ist.

Flicka

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Re: Sakura, Sushi, Samurai - Im Frühling 2014 durch Japan
« Antwort #173 am: 21.08.2014, 19:27 Uhr »
10. April: Koyasan - Hiroshima

Heute morgen werde ich schon um kurz vor sechs wach. Die Sonne ist schon aufgegangen, das Licht scheint gedimmt durch die papierbespannten Fenster. Ich stehe auf und ziehe mich langsam an und begehe dabei einen Verstoß gegen die japanische Etikette nach der anderen. Zuerst schwappt mir Tee auf die Tatami-Matten, dann gerate ich mit den Pantoffeln durcheinander. Auf den Tatami-Matten geht man auf Strümpfen, auf dem Holzboden im Vorraum, wo das Waschbecken ist, in normalen Pantoffeln und auf der angrenzenden Toilette zieht man dann die Klo-Pantoffeln an. Bei dem vielen Wechseln des Schuhwerks passe ich nicht auf und setzte irgendwann einen Fuß mit der Klopantoffel auf die Tatami-Matte. Schlimmer gehts nimmer.

Um zehn vor sieben erscheint dann wie vereinbart einer der Mönche und holt die anderen Gäste und mich zur morgendlichen Andacht. Etwa 20 Gäste, darunter etwa fünf oder sechs Japaner, nehmen auf den Bänken Platz, vorne knien drei Mönche und halten unter ständigem Sprechgesang die Zeremonie ab. Währenddessen dürfen die Gäste einzeln nach vorne treten, sich knien, etwas undefinierbares in die Glut streuen, beten und sich verbeugen. Schließlich rezitieren alle zusammen gemeinsam mit den Mönchen das Herz-Sutra, die Japaner aus einer Art Gesangbuch, die Ausländer von dem Blatt, dass einer der Mönche während der Zeremonie ausgeteilt hat. Das Herz-Sutra handelt von der Weisheit und davon, dass eigentlich nichts wirklich existiert, denn alles ist Leere, also ist es auch völlig nutzlos, Dingen hinterherzujagen. Wem es gelingt, all das irdische Streben hinter sich zu lassen, der wird erleuchtet. So verstehe ich zumindest sinngemäß die englische Übersetzung.

Zum Abschluss erklärt einer der Mönche, zuerst auf japanisch, dann auf englisch, die Bedeutung Koyasans: Dass der Ort heute zwar innerhalb von ein paar Stunden von Kyoto aus zu erreichen ist, dass aber zu Kobo Daishis Zeiten eine mehrtägige Reise erforderlich war und der Ort sehr abgeschieden in den Bergen lag, als Kobo Daishi Kyoto verließ, um hier ein religiöses Zentrum aufzubauen. Koyasan liegt auf einem Plateau, umgeben von acht Berggipfeln, so dass der Haupttempel, der damals gegründet wurde, wie Buddha inmitten der Lotosblüte sitzt. Der Fudo-in Tempel, in dem wir uns befinden, ist einer der ältesten in Koyasan und bereits 1100 Jahre alt.

Ich finde es schön, auf diese Weise eingebunden zu werden. Von anderen Tempelübernachtungen hatte ich gelesen, dass die Gäste nicht einmal wussten, wohin sie sich während der Zeremonie setzen sollten, hier legt man doch Wert darauf, dass auch die Ausländer verstehen, was gerade um sie herum passiert.

Nach der Zeremonie gibt es noch ein buddhistisches vegetarisches Frühstück, wieder mit Reis, Tofu, Gemüse und unidentifizierten Essobjekten. Dabei wird mir klar, dass die kleine Schale, in die ich gestern Reis und kleine Portionen des Essens gelegt hatte, bevor ich sie in den gierigen Mund befördert habe, gar nicht die Schale fürs Essen sondern für den Tee war, aber ich habe gestern ja keinen Tee getrunken, also ist es eigentlich egal. Ich kann mir allerdings das Kopfschütteln der Mönche plastisch vorstellen.


Nach dem Frühstück streife ich noch durch die Gänge und mache ich ein paar Fotos. Immerhin ist in einer der Schiebetüren des Zeremonienraums von morgendlichen Andacht ein kleines Guckloch, also schnell noch ein Foto gemacht.






Danach checke ich aus und marschiere mit Rucksack und Tasche nochmal hinüber zum Garan. Während der Reisevorbereitung hatte ich gelesen, dass ausgerechnet heute morgen eine Prozession stattfinden soll, eine der ältesten Zeremonien in Koyasan, die noch von Kobo Daishi eingeführt worden sein soll. Viele Informationen waren darüber nicht zu finden, und ich bin gar nicht sicher, ob die Prozession heute tatsächlich stattfindet, aber als ich auf dem Garan ankommt, sind schon Matten auf dem Boden ausgerollt und Mönche stehen gutgelaunt vor einem der Tempel, scherzen und kontrollieren, ob ihre Kleidung auch sitzt. Bis jetzt wusste ich ja nicht, ob man hier überhaupt fotografieren darf, aber angesichts der Profifotografen und eines Mönchs mit Spiegelreflexkamera ist dann klar, dass heute nicht nur Franzosen Fotos machen dürfen.




Viele Leute sind gar nicht da, wahrscheinlich kaum mehr als Prozessionsteilnehmer, und so kann ich alles wunderbar sehen, als die Prozession schließlich um neun Uhr beginnt. Zunächst folgt ein kurzer Teil in der Halle unterhalb der Pagode, dann setzt sich die Prozession in Gang.








Vor der Pagode stimmen die Mönche gemeinsam einen Sprechgesang an, dann geht die Prozession weiter bis zu Kondo-Halle. Wieder fällt mir diese Mischung aus Tradition und Moderne auf: Einer der Mönche bläst traditionell auf einer großen Meeresschnecke, während der "moderne" Mönch neben ihm verkabelt ist. Ein Mönch schlägt an bestimmten Stellen des Sprechgesangs immer wieder die große Glocke an.










Als die Zeremonie beendet ist, gehe ich mit Tasche und Rucksack zur Bushaltestelle. Eigentlich rechne ich nicht damit, dass ich die nächste Zahnradbahn nach unten noch erwische, aber ich habe Glück: Der Bus fährt ein paar Minuten später ab und erreicht den Bahnhof gerade noch, bevor sich die schon vollbesetzte Zahnradbahn in Bewegung setzt. Unten angekommen geht es mit dem Zug wieder zurück nach Osaka, diesmal mit Umsteigen in Hashimoto. In Namba angekommen, finde ich zum Glück schnell das Schließfach wieder, zahle die erforderlichen 500 Yen nach, befreie meinen Koffer aus seinem Verlies und suche die U-Bahn. Diesmal fahre ich mit der Midosuji-Linie durch Osaka hindurch bis nach Shin-Osaka, wo der Shinkasen abfährt. Zum Glück scheint mittags zwischen zwölf und ein Uhr eine der wenigen Zeiten zu sein, in denen es in Japan mal keine Rush Hour gibt, und so komme ich relativ entspannt ans Ziel und verfrachte mich und meinen Koffer mit dem Aufzug zum Shinkansen-Bahnhof. Noch schnell ein paar Snacks und Getränke gekauft, dann gehe ich zum Bahnsteig, wo der Shinkasen namens Sakura gerade aus der Gegenrichtung einfährt. Ich stelle mich in die Schlange und kann durch das Fenster beobachten, wie Reinigungskräfte die Sitze umklappen, damit sie in Fahrtrichtung zeigen, und den Zug säubern. Sogar Fenster werden geputzt. Dann dürfen die Fahrgäste einsteigen, und pünktlich um 12.59 Uhr beginnt die Fahrt nach Hiroshima.

Die Fahrt verläuft natürlich ohne Vorkommnisse, der Waggon ist nur halb besetzt, und um kurz vor halb drei erreicht der Zug dann Hiroshima. Obwohl ich im ersten Wagen sitze und als erste aussteige, schaffe ich es kaum, noch ein Foto vom Zug zu machen, da geht die Fahrt auch schon weiter.




Hier in Hiroshima will ich entweder mit der Straßenbahn zum 2 km entfernten Hotel fahren oder mit dem Taxi. Als ich den Shinkansen-Ausgang nehme und vor dem Bahnhof weit und breit keine Straßenbahn oder auch nur Straßenbahnschienen sehen kann, fällt die Entscheidung schnell zugunsten des Taxis. Das soll laut Hotel-Homepage etwa 1300 Yen, 10 Euro, kosten, und den Spaß gönne ich mir gerne. Also los, zum Taxistand. Der Fahrer öffnet auch sofort mit einem Hebel die Tür zum Rücksitz, lädt mein Gepäck in den Kofferraum, schaut sich das Blatt mit der japanischen Wegschreibung an, die ich mir vorsichtshalber noch von der Hotel-Homepage ausgedruckt habe, und ich steige ein. Die Tür schließe ich natürlich nicht selbst, das macht wieder der Fahrer mit dem Hebel am Fahrersitz. Die Fahrt beginnt, ich sitze auf einem weißen Spitzendeckchenüberwurf und mache mir Sorgen, ob mein Fotorucksack, den ich ja überall im Dreck abstelle, diesem Blütenweiß eventuell abträglich ist. Der Fahrer fährt ein paar Schleichwege und schafft es tatsächlich, mich für nur 1.200 Yen zum Ziel zu befördern. Als ich die gezahlt habe und ausgestiegen bin, hat der Hotelportier schon meinen Koffer ausgeladen und ich schreite entspannt zur Rezeption.

Hier in Hiroshima habe ich mich für zwei Nächte im ANA Crowne Plaza einquartiert, das erstaunlich günstig ist, jedenfalls günstiger als das Hotel in Tokio, obwohl es eines dieser Häuser ist, in das man deutlich besser passt, wenn man mit dem Taxi vorfährt und nicht mit der Straßenbahn. Ich bekomme ein Zimmer im 19. Stockwerk, im gesicherten Stockwerk, wie mir die Mitarbeiterin an der Rezeption erklärt. Ich muss nach dem Aussteigen aus dem Aufzug meine Zimmerkarte verwenden, um die Tür zu den Hotelzimmern zu öffnen. Ob das ein besonderer Service für alleinreisende Frauen ist? Keine Ahnung, das Hotelzimmer ist jedenfalls schön, ich stelle meinen Koffer ab und mache mich auf den Weg zum Friedenspark.






Der Friedenspark liegt im Zentrum Hiroshimas auf einer Flussinsel in der Nähe des Epizentrums der Atombombenexplosion. Betritt man den Park von Süden kommend, steht man zunächst vor dem Friedensmuseum.




Das Museum will ich aber erst zum Abschluss besuchen, zuerst gehe ich weiter zum Cenotaph, der an die Opfer des Atombombenabwurfs erinnert. Er soll die Form eines Sattels haben. Von hier aus sieht man den Atombombendom und die Friedensflamme.






Nur ein paar Schritte weiter steht das Kinder-Friedensdenkmal mit vielen Papierkranichen, die von Kindern aus aller Welt hierhergeschickt werden.








Über den Fluss sieht man auf den Atombombendom, der als eines von nur wenigen Gebäuden nach der Explosion noch existierte.




Auf einer Bank mache ich Pause und schaue hinüber zu der Ruine. Es ist kaum fassbar, dass hier im August 1945 alles zerstört war und zehntausende Menschen gestorben sind. Abgesehen von den Denkmälern und den Besuchergruppen ist es heute hier wie in jedem anderen Park auch. Es ist warm, Kinder fahren mit den Fahrrädern herum, Männer in den üblichen dunklen Anzügen kommen von der Arbeit. Nebenan blühen die Tulpen, und drüben im Park stehen Palmen. In meiner Vorstellung war Hiroshima immer eine schwarz-weiße Trümmerlandschaft, wie auf den alten Fotos.

Zum Abschluss gehe ich dann noch ins Museum. Im Reiseführer wurde gewarnt, dass die Fotos und Berichte der Opfer ziemlich belastend sein könnten, also wappne ich mich innerlich. Das Museum ist aber gut gemacht und beginnt mit einem Fotoportrait von Hiroshima vor dem Atombombenabwurf, erst dann folgen Informationen zum Abwurf und schließlich Fotos und Überbleibsel von der Explosion.






Stellvertretend für viele Fotos und Objekte diese zwei: Ein beschädigter Buddha-Kopf und das Dreirad eines Dreijährigen, der zur Zeit des Explosion gerade mit seinem geliebten Dreirad unterwegs war. Er starb am selben Tag und wurde von seinem Vater zusammen mit dem Dreirad beerdigt.






Nach dem Museum habe ich einen Kloß im Hals, und beim Hinausgehen sehe ich einen alten Mann, der sich die Augen reibt. Trotzdem bin ich froh, dass ich mir das Museum angesehen habe, ein Besuch des Friedensparks ohne das Museum wäre einfach unvollständig gewesen.

Im Hotel mache ich mich erst mal daran, den Koffer aufzuräumen und neu zu packen. Die Souvenirs kommen nach unten, ich finde erfreut noch drei Packungen Schokoriegel und sortiere, was ich noch zum Anziehen habe. Das sieht gut aus, ich muss die nächsten Tage also nicht im Kimono verbringen. Abends streife ich in der nahen Haupteinkaufsstraße durch die Geschäfte. Hier gibt es auch eine überdachte Straße, aber gegen das quirlige Treiben auf dem Nikishi-Markt in Kyoto oder die Neonwelt in Osaka wirkt das hier ruhig und gediegen. Auf der Suche nach ein paar T-Shirts für die Patenkinder, wobei mir so etwas vorschwebt wie Godzilla, der Tokio angreift, umrahmt von japanischen Schriftzeichen, finde ich stattdessen T-Shirts mit deutschen Aufdrucken. Vielleicht ist deutsch hier besonders "in"? Ich kann jetzt jedenfalls nachvollziehen, wie es Millionen von englischsprachigen Menschen gehen muss, wenn sie Menschen mit unsinnigen englischen Texten auf ihren T-Shirts begegnen.






Hier in Hiroshima soll es besondere Pfannkuchen geben, und ich finde schließlich ein kleines Pfannkuchenrestaurant, in dem ich an der Theke Platz nehmen kann. Das Essen wird hier direkt vor dem Gast zubereitet, und wenn man an der Theke sitzt, isst man es direkt von der heißen Platte. Das Foto des fertigen Pfannkuchen zeigt übrigens nicht mein Essen, sondern ein Konkurrenzprodukt, denn bei mir sind im Verlauf des mühsamen Bestellvorgangs irgendwie die Hälfte der Zutaten abhanden gekommen und das Ergebnis sieht nicht ganz „rund“ aus, schmeckt aber trotzdem.






Auf dem Heimweg kaufe ich mir in einem kleinen „Family Mart“ noch ein paar Getränke, ein Eis und eine Tafel Schokolade aus Japan, die gar nicht mal so übel schmeckt. Im Hotel werden noch die Fotos der letzten Tage aufs Laptop geladen und der Wetterbericht studiert, der viele Wolken, aber immerhin keinen Regen prognostiziert.

Ausgaben des Tages:
Schließfach Y 500
U-Bahn Y 280
Taxifahrt Y 1200
Snacks und Getränke Y 3200
Peace Memorial Museum Y 50
Abendessen Y 1300
1 ÜN im Hotel Crowne Plaza Y 8500
in Hiroshima eine blühende lebendige Stadt vorzufinden: unbezahlbar

Katja

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Re: Sakura, Sushi, Samurai - Im Frühling 2014 durch Japan
« Antwort #174 am: 21.08.2014, 21:16 Uhr »
Ein sehr interessanter Tag - toll!
Viele Grüße
Katja

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Flicka

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Re: Sakura, Sushi, Samurai - Im Frühling 2014 durch Japan
« Antwort #175 am: 21.08.2014, 21:23 Uhr »
Danke und schön, dass du weiter mit an Bord bist!

snowtigger

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Re: Sakura, Sushi, Samurai - Im Frühling 2014 durch Japan
« Antwort #176 am: 22.08.2014, 10:07 Uhr »
Ich bin auch noch dabei und von deinem Klosteraufenthalt sehr fasziniert. Eine tolle Erfahrung.  :D
Und deine Schilderung vom Hiroshima Museum ließ mir ebenfalls einen Kloß im Hals entstehen ... das sind einfach Dinge, die mich nie kalt lassen.
Zu was Menschen fähig sind ...

Danke fürs Schreiben und Schildern!
September 2012: http://forum.usa-reise.de/index.php?topic=58760.msg798830#msg798830
September 2014: Yellowstone & the Highlights of Utah
August 2015: SFO > LAX > LAS Honeymoon USA

Flicka

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Re: Sakura, Sushi, Samurai - Im Frühling 2014 durch Japan
« Antwort #177 am: 24.08.2014, 09:19 Uhr »
Die Übernachtung auf dem Koyasan war ein sehr schönes Erlebnis und ich war über die Wahl des Tempels im nachhinein sehr glücklich. Die Räume waren schön und neu und ich habe mich dort richtig wohlgefühlt, auch wenn das Ambiente eher wie das eines Gästehauses war und nicht wie das einer asketischen Klosterunterkunft. Es kann auch durchaus sein, dass die Morgenzeremonie, an der ich teilgenommen habe, extra für die Gäste durchgeführt wurde und die Zeremonie für die Mönche schon früher am Morgen stattgefunden hat. Aber dadurch habe ich letztlich mehr von dem Aufenthalt gehabt als wenn ich als stille, unkundige Beobachterin irgendwo in einer Ecke gesessen hätte.

Mein Aufenthalt in Hiroshima hat dazu geführt, dass ich mich vor dem Urlaub zum ersten mal wirklich mit dem Kriegsverlauf in Asien und den Atombombenabwürfen beschäftigt habe. Die Legitimation der Atombombeneinsätze in Hiroshima und Nagasaki ist ja bis heute heftig umstritten. Es gibt sicher auch diskussionswürdige Argumente für den Atombombeneinsatz, etwa die Tatsache, dass die Japaner ihrerseits an der Bevölkerung in Asien Kriegsverbrechen verübten und dass eine Eroberung Japans mit konventionellen Mitteln vermutlich mehr Menschenleben gefordert hätten als die Atombomben. So oder so ändert das aber nichts an dem Schrecken des Ereignisses.

Das Hotel, in dem ich in Hiroshima gewohnt habe, steht nur ein paar hundert Meter vom Friedensmuseum und vom Atombombendom entfernt. Die Gebäude, die dort standen, wurden zerstört, und mit einiger Sicherheit haben die Menschen, die sich beim Atombombenabwurf an dieser Stelle aufgehalten haben, nicht überlebt. Es war ein komisches Gefühl, im Museum auf den roten Explosionsball zu schauen und zu überlegen, wie dicht das eigene Hotelbett am Epizentrum stehen würde, wenn so etwas heute passieren würde.

Flicka

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Re: Sakura, Sushi, Samurai - Im Frühling 2014 durch Japan
« Antwort #178 am: 24.08.2014, 17:28 Uhr »
11. April: Hiroshima – Miyajima - Hiroshima

Ich wache schon um sechs Uhr auf, dabei gibt es doch heute morgen gar keine buddhistische Morgenzeremonie, an der ich teilnehmen könnte. Also bleibe ich liegen, surfe im Internet und schreibe Mails. Dazwischen schaue ich ab und zu aus dem Fenster. Leider wirkt der Himmel diesig, und am Boden offenbar Hiroshima auch nicht gerade besondere Schönheit.




Um neun Uhr verlasse ich dann das Hotel. Heute ist ein Besuch geplant, der mich auf meiner Reise am weitesten von Tokio wegführt, nämlich zur Insel Miyajima in der Inlandsee. Zuerst fahre ich mit der Straßenbahn Nr. 7 zum Bahnhof Yokogawa. In der Straßenbahn gilt ein Einheitspreis, man steigt also einfach ein und wirft beim Aussteigen Y 160 in den Münzschlitz neben dem Fahrer.




Ab dem Bahnhof Yokogawa nehme ich den Zug bis Miyajima-guchi. Die Fahrt dauert etwa eine halbe Stunde, und vom Bahnhof aus ist nach kurzem Fußmarsch auch die Fähre hinüber zur Insel erreicht, die erfreulicherweise im Railpass eingeschlossen ist.

Als ich zur Fähre gehe, merke ich schon, dass irgendwas mit dem linken Fuß nicht stimmt. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich umgeknickt wäre, aber der Fuß fühlt sich verstaucht, gezerrt oder entzündet an, jedenfalls kann ich nicht richtig abrollen und verfalle auf den letzten Metern zur Fähre in ein leichtes Hinken. Hm, hoffentlich wird das nicht schlimmer.

Auf der Fähre tummeln sich schon mehrere Schulklasse, alle in den gleichen blauen Trainingsanzügen mit den gleichen blauen Umhängetaschen. Die haben bestimmt Wandertag. Als nach etwa 15 Minuten Fahrt die Fähre auf Miyajima anlegt, ist für die Schüler erst am Antreten zum Appell angesagt, dann setzen sich alle und lauschen den Anweisungen der Lehrerschaft, die ebenfalls in Trainingsanzügen unterwegs ist.




Ich gehe weiter an der Strandpromenade entlang, während ein paar Meter unter mir kleine Wellen auf den Sand schlagen. Miyajima, die heilige Schrein-Insel, zählt zu den drei schönsten Landschaften Japans. Wie in Nara gibt es auch hier Rehe, die sich auf Straßen und Wegen unter die Touristen mischen. Eine italienische Reisegruppe verfällt in kollektive verzückte „Bambi!“-Rufe, und ich denke mir, dass sie noch nicht wissen, wie gefährlich diese Bestien sind. Aber wie sich herausstellt, sind die Rehe hier auf Miyajima sehr nett und betteln ausgesprochen zurückhaltend und höflich, was wahrscheinlich daran liegt, dass es hier keine Reh-Kekse gibt und das Füttern ausdrücklich verboten ist.






Nach einem kurzen Spaziergang erreiche ich den Itsukushima-Schrein. Der Schrein wurde auf Stelzen über dem Wasser gebaut. Bei Flut reicht das Wasser fast bis zu den Gebäuden und Stegen. Das einfache Volk, das die Insel früher nicht betreten durfte, konnte bei Flut mit dem Schiff durch das berühmte „schwimmende“ Torii zum Schrein fahren, das ein Stück vor dem Schrein im Wasser steht. Jedenfalls steht das Tor im Moment noch halbwegs im Wasser, aber derzeit fällt das Wasser, in zwei Stunden soll tiefste Ebbe sein, dann kann man vielleicht sogar bis zum Tor gehen. Ich fotografiere das Tor und werde dann von ein paar reizenden japanischen Omis gefragt, ob ich ihre Gruppenfotos machen kann. Na klar. Ein paar Minuten später weiter unten am Strand treffen wir uns mit großem Hallo wieder und ich mache dann auch noch ihre Gruppenfotos am Strand. Als wir uns verabschieden, rufe ich ihnen ein Wort nach, das mir gerade aus dem Japanisch-Onlinekurs einfällt, nämlich „matane!“, bis bald! Die Omis kichern und ich bin stolz auf mich: Ich kann sogar auf japanisch scherzen, wer hätte das gedacht?




Im Schrein wird – wie sollte es anders sein – natürlich auch geheiratet. Naomi, bei der ich letzte Woche zu Besuch war, hatte auch hier geheiratet und sich anschließend mit der Rikscha durch die Straßen fahren lassen.














Von hier aus bummele ich immer noch leicht hinkend durch die Straßen hinter dem Schrein.






Ich streife durch ein paar Souvenirgeschäfte und erreiche schließlich die Senjokaku-Halle und die danebenstehende fünfstöckige Pagode. Senjokaku heißt übrigens „Pavillon der 1000 Matten“. Damit sind die angeblich 1000 Tatami-Matten gemeint, die in der Halle Platz haben. Die Halle ist nach allen Seiten offen. Am Eingang erklimmt man ein paar Stufen und zieht wie üblich seine Schuhe aus, bevor man den Holzboden betritt. Ein Ausländer weigert sich hier aber beharrlich, dieser Sitte zu folgen. Ich habe keine Ahnung warum, vielleicht sind ihm seine Socken peinlich? Das Problem ist allerdings schnell gelöst, denn die Frau am Kassenhäuschen bindet ihm einfach zwei Plastiktüten um die Füße. Laut raschelnd dreht er eine schnelle Runde durch die Halle und verschwindet dann gedemütigt, bevor ich ihn fotografieren kann. Also dann halt doch „nur“ Fotos der Sehenswürdigkeiten.














Als ich wieder zum Schrein zurückgehe, ist das Wasser so weit zurückgewichen, dass man zum Tor und sogar um das Tor herumlaufen kann. Hm, ganz schön groß.




Inzwischen ist es ein Uhr, und ich mache mich auf den Weg zur Seilbahnstation, um hinauf auf den 520 Meter hohen Berg Misen zu fahren. Die Frau, die die Tickets verkauft, sieht mich heranhinken und nennt mir ohne Nachfrage den Preis für Hin- und Rückfahrt. Eigentlich hatte ich ja vorgehabt, hinauf zu fahren und in eineinhalb Stunden runter zu laufen, aber mit dem Hinkefuß ist das wohl keine gute Idee. Netterweise ist die Seilbahn nicht voll und ich bekomme sogar ein Abteil für mich alleine. Nach der Warterei am Fuji und den vollgestopften Zügen und Seilbahnen dort empfinde ich das eigene Abteil hier als regelrechten Luxus.




Von einer Zwischenstation geht es dann noch ein Stück weiter hinauf. Nach dem Aussteigen hat man einen schönen Blick auf die Inlandsee, also das Meer, das zwischen den Hauptinseln Honshu (im Norden), Shikoku (im Süden) und Kyushu (im Westen) liegt. Hier mache ich kurz Rast und esse die gerösteten Kastanien, die ich mir unten im Ort noch gekauft habe.




Von der Seilbahnstation aus führt dann ein Wanderweg zum höchsten Gipfel der Insel und an einigen Tempeln und Schreinen vorbei. Zwischendurch treffe ich tatsächlich die japanischen Omis wieder, und wir begrüßen uns schon wie alte Bekannte.


















Mir macht aber der schmerzende Fuß immer mehr zu schaffen. Der Weg besteht größtenteils aus unregelmäßigen Stufen, und zweimal falle ich beinahe hin, weil der Fuß beim Aufsetzen wegknickt. Ich bin jedenfalls heilfroh, als ich nach knappen zwei Stunden wieder die Seilbahnstation erreiche. Auf dem Weg nach unten fühle ich mich dann plötzlich, als hätte jemand auf einen Schlag sämtliche Energie aus meinem Körper gesaugt. Selber schuld, schimpfe ich mit mir, außer den Kastanien habe ich heute noch nichts gegessen. Warum bin ich eigentlich auch so blöd und mache immer wieder  denselben Fehler und stürme ohne Frühstück und Proviant einfach los? Unten angekommen ziehe ich mir jedenfalls erst mal ein Schokoladeneis aus einem Automaten, das hilft gegen Entkräftung und schlechte Stimmung, aber leider nicht gegen Fußschmerzen. Aber immerhin kann ich hier auf dem ebenen Boden wieder viel leichter gehen.

Ich kaufe T-Shirts mit Drachenmotiven für die Patenkinder, eine Schachtel mit den typischen Süßigkeiten der Insel, nämlich gefüllte Biskuits in Form von Ahornblättern und finde dann ein Restaurant, das noch geöffnet ist, was nachmittags um halb fünf gar nicht so einfach ist, denn die Insel ist ein Tagesausflugsziel und viele Leute sind schon auf dem Weg zur Fähre. Das Restaurant bietet wieder die typischen Hiroshima-Pfannkuchen an. Ich setze mich an die Theke, trinke ein Bier, und esse einen Pfannkuchen mit Shrimps.






Insgesamt sind meine Abwehrkräfte heute offenbar empfindlich geschwächt, vielleicht liegt es aber auch an der Enthemmung durch das große Bier, denn nach dem Essen kaufe ich mir tatsächlich für 650 Yen eine knallbunte Hello-Kitty-Tragetasche. Dann ist schon die Zeit gekommen, wieder zum roten Tor zurückzugehen, denn es dauert nicht mehr lange bis zum Sonnenuntergang. Zum Glück gibt es kaum noch Wolken, und die Sonne scheint golden durch das Tor.






Motiviert durch das schöne Fotomotiv, will ich die letzten Fotos für heute von der anderen Seite der kleinen Bucht machen und humpele hinter dem Schrein vorbei und zur Uferpromenade auf der anderen Seite der kleinen Bucht. Es wird dunkel, und so langsam beginnt das rote Tor im Licht der Scheinwerfer zu leuchten. Leider ist es ein wenig windig, und mein Gorillapod kein richtiges Stativ, so dass ich einige Fotos machen muss, bis dann doch ein verwacklungsfreies dabei herauskommt. Vor mir glucksen die Wellen gegen die Mauern, im Hintergrund fahren ab und zu beleuchtete Fähren vorbei, und das Tor leuchtet geheimnisvoll über dem Wasser. Nach Sonnenuntergang noch hier zu bleiben hat sich absolut gelohnt.




Schließlich mache ich mich langsam auf den Weg zurück zum Fährhafen, nehme die Fähre um acht Uhr und den Zug um kurz vor halb neun zurück nach Hiroshima. Hier am Bahnhof Miyajima-guchi liegen auf den harten Holzstühlen am Bahnhof übrigens nette Sitzkissen. Auf einem deutschen Bahnhof wäre so etwas wohl nicht vorstellbar.




Nach einer Straßenbahnfahrt hinke ich schließlich die letzten Meter ins Hotel, wo ich gegen neun Uhr ankomme und erschöpft aufs Bett falle. Ich fühle mich irgendwie gar nicht gut, gerade so als wäre ich auf dem besten Weg zu einer fiesen Erkältung. Als ich meine Mutter über Skype anrufe, erzähle ich ihr aber lieber nur was von dem bösen Fuß, sonst macht sie sich noch unnötige Sorgen um das arme Kind, das krank in Hiroshima im Hotelzimmer liegt. Ich lutsche provisorisch Halsschmerztabletten und nehme eine Aspirin, dann lege ich mich schlafen.

Ausgaben des Tages:
Straßenbahnfahrten Y 320
Itsukushima-Schrein Y 300
Senjokaku-Halle Y 100
Seilbahn Y 1800
Abendessen Y 1600
Getränke Y 300
1 ÜN im Crowne Plaza Y 8500
Das rote Tor von Miyajima nach Sonnenuntergang: unbezahlbar

Flicka

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Re: Sakura, Sushi, Samurai - Im Frühling 2014 durch Japan
« Antwort #179 am: 27.08.2014, 19:45 Uhr »
12. April 2014: Hiroshima - Kanazawa

Die letzte Woche in Japan ist angebrochen, und mein Körper zeigt langsam erste Auflösungserscheinungen. Der linke Fuß ist immer noch empfindlich, am rechten Fuß habe ich inzwischen große Blasen, ich huste und niese ein wenig und habe beim Schlucken ein Kratzen im Hals. Da ist der Entschluss schnell gefasst, noch eine Viertelstunde länger im Bett liegen zu bleiben und den Weg zum Bahnhof per Taxi und nicht per Fußmarsch und Straßenbahn anzutreten. Der Taxifahrer bringt mich für 1190 Yen ans Ziel, und ich kaufe mir erst mal Verpflegung. Um 8.18 Uhr beginnt dann die Fahrt mit dem Sakura-Shinkansen zurück nach Shin-Osaka.




Ich packe meine Enkäufe aus und frühstücke erst mal ordentlich: Toast mit panierter Hähnchenbrust (lecker), eine Bentobox mit Reis, Gemüse und irgendwelchem Fisch (na ja), und eine paar Mini-Donuts (sehr lecker). Gestärkt tippe ich den Reisebericht von gestern ins Laptop, und nach eineinhalb Stunden erreicht der Zug pünktlich Osaka.

Hier habe ich eine halbe Stunde Zeit zum Umsteigen. Schon zwanzig Minuten vor Abfahrt des Thunderbirds nach Kanazawa stehe ich am Gleis und stelle mich schon mal an die Markierung für den Waggon 4, in dem ich einen Platz reserviert habe.




18 Minuten passiert dann erst mal gar nichts, dann verkündet eine Lautsprecherstimme, dass der Zug nach Kanazawa und irgendeinem anderen Ort fährt und einige Waggons, auch der Waggon 4, zu diesem anderen Ort. Ich gehe jetzt einfach mal optimistisch davon aus, dass der JR-Mitarbeiter, der mit den Platz im Waggon 4 reserviert hat, wusste, was er tat und dass erst mal alle Wagen nach Kanazawa fahren. Was mich dann aber leicht aus der Fassung bringt ist die Ansage, der Waggon 9 sei vorne am Zug, der Waggon 1 hinten, und da fährt der Zug auch schon in den Bahnhof ein, und vor mir erscheint statt des Wagons 4 tatsächlich der Wagon 9. Also los, zwei Wagons am Bahnsteig entlang, dann schnell rein in den Zug und die Waggons 7 bis 5 im Zug durchquert. Als ich schließlich an meinem Platz im Wagon 4 ankomme, sind wieder viele fremde Schienbeine unfreiwillig mit meinem großen Koffer in Kontakt gekommen. Aber schließlich ist mein Platz 2D erreicht, und den Koffer kann ich problemlos hinter der Reihe eins unterbringen. Als ich endlich sitze, wird mir klar, dass ich der Thunderbird ja kein Shinkansen ist. Ich hätte wohl die Wagenstandsanzeige anschauen müssen, dann hätte ich wahrscheinlich gesehen, dass der Wagen 4 gar nicht im Abschnitt 4 hält. Egal, jetzt bin ich ja im richtigen Wagen angekommen.

Die Fahrt dauert zweidreiviertel Stunden. Zwischendurch hält der Zug in Kyoto. Ich erkenne aus dem Fenster die Ticket-Gates, die ich schon ein paar mal passiert habe und finde es schön, mal wieder etwas vertrautes zu sehen. Bei der Verkäuferin, die ab und zu ihren Wagen durch die Gänge schiebt, kaufe ich mir Getränkenachschub. Gegen Ende der Fahrt fallen mir immer wieder die Augen zu und ich würde mich am liebsten schlafen legen. Heute bin ich wirklich nicht fit.

Um kurz vor eins erreicht der Zug Kawazana, und als ich gerade unten im Bahnhof angekommen bin, beginnt plötzlich ein Blasorchester im Bahnhof zu spielen. Na, das ist ja mal eine Begrüßung, denke ich mir. Bisher hat mich keine der Städte, in der ich war, so empfangen.




Im Bus-Ticket-Center kann ich dann die reservierten Nohi-Bus-Tickets für die Fahrten morgen und übermorgen kaufen und bin erleichtert, dass unter meinen Reservierungsnummern auch tatsächlich Reservierungen existieren. Dann frage ich nach dem Machi-Bus, den ich eigentlich zum Hotel nehmen will, aber als ich die vielen Leute sehe, die dort schon Schlange stehen, ist die Entscheidung schnell getroffen: Ich fahre wieder Taxi. Bis zum Hotel kostet es letztendlich 1420 Yen, das zahle ich gerne. Schließlich humpele ich inzwischen auf beiden Füßen.

Ich logiere heute wieder in einem Toyoko Inn, nämlich dem Toyoko Inn Kenrokuen. Ins Zimmer kann ich noch nicht, aber den Koffer kann ich abgeben, und so ziehe ich schließlich gegen zwei Uhr los zum nahen Naramachi-Distrikt. Das ist ein Bereich, in dem sich einige der alten Samurai-Häuser erhalten haben. Hier lebten - nicht weit entfernt von der Burg von Kanazawa - Samurai mit ihren Familien.








Ich hinke langsam die Straßen entlang und besuche als erstes das Nomura-Haus. Überall wird der Eindruck erweckt, dass es sich um eine ehemalige Villa der Samurai-Familie Nomura handelt, einer meiner Reiseführer verrät aber, dass von der ehemaligen Villa nichts übrig ist und dass das Haus erst zu Anfang des 20. Jahrhunderts vom Land hierher „überführt“ wurde. Trotzdem scheint es ein typisches Beispiel eines solchen Samurai-Hauses zu sein, also will ich mal nicht zu streng sein.




Am Haus kommt gerade eine Schweizer Reisegruppe an, und das kollektive Schuheausziehen gerät zu einem derartigen Schauspiel, dass die Japaner stehenbleiben und gaffen. Eine dicke Schweizerin schleudert die Schuhe regelrecht von ihren Füßen, so dass sie zwei Meter weit fliegen, ihrem Begleiter vor die Füße, der sie nachsichtig aufhebt. Ich warte lieber ein paar Minuten, bevor ich hineingehe, denn ich möchte meinen Besuch hier in Ruhe und Frieden verbringen.














Nach dem herrschaftlichen Nomura-Haus gehe ich ein Stück weiter zum Ashigaru-Shiryokan-Museum. Ashigaru waren Fußsoldaten, der niedrigste Rang der Samurai. Hier sieht man, wie solche Samurai wohnten, nämlich in relativ einfachen Verhältnissen.




Schließlich schaue ich mir noch das Shinise-Kinenkan-Museum, eine ehemalige Apotheke an. Dort sind auch Beispiele für die Handwerkskunst ausgestellt, die in Kanazawa beheimatet ist und war. Zur Edo Zeit war Kanazawa eine der reichsten Städte Japans, und die handwerklichen Traditionen haben sich bis heute erhalten.














Inzwischen ist es kurz nach vier und ich gehe zurück Richtung Hotel. Ein paar Meter schräg gegenüber vom Hotel ist ein Kaufhaus, und dorthin gehe ich in der Hoffnung, etwas zu essen zu finden. Im Untergeschoss finden sich mal wieder wunderbar präsentierte Süßigkeiten und andere Lebensmittel, vom europäischen Erdbeertörtchen über japanische Snacks bis zum hierzulande besonders beliebten Baumkuchen.








Ich will nichts davon, und als ich mich frage, was ich denn eigentlich will, wird mir klar: Ich will ein Käsebrot. Kaum ist mir dieser Gedanke gekommen, habe ich schon das Gefühl, dass ich diesen Tag ohne Käsebrot nicht überleben werde. Aber hier ein Käsebrot zu bekommen, das kann ich mir wohl abschminken. Und eigentlich will ich auch kein normales Käsebrot, sondern ein Camembert-Baguette. Kaum habe ich das gedacht, betrete ich einen Bereich, der als französische Boulangerie angepriesen wird. Und tatsächlich, da gibt es richtiges Baguette mit knuspriger Kruste!

Jetzt müsste ich nur noch Käse finden. Ich schiebe mich mit Argusaugen an den Regalen vorbei, da hinten ist ein Hinweis auf Kiri-Käse, vielleicht, vielleicht... Ja, da liegt ein einsamer Président-Camembert, nur ein einziges Exemplar. Er scheint förmlich auf mich gewartet zu haben und ich schnappe ihn mir sofort, obwohl kein Preis dransteht und er direkt neben dem Kaviar liegt, was schlimmes vermuten lässt. Aber wenn das Schicksal mir so unverhofft einen Camembert geschickt hat, dann muss ich auch zugreifen, egal was es kostet.






Es kostet letztlich 900 Yen, ca. 6 -7 Euro, was ich eigentlich erstaunlich günstig finde, dazu dann nochmal 400 Yen für das Baguette. Inzwischen bin ich so fix und fertig und fahrig, dass ich beim Bezahlen den Inhalt meines Geldbeutels auf dem Boden verteile. Hilfsbereite Japaner bücken sich und fangen an, die Münzen aufheben, während ich erst mal dumm gaffend stehenbleibe. Oh, wie peinlich. So schnell ich mit meinen lädierten Füßen kann, humpele ich dann mit meinen Schätzen aus dem Kaufhaus und schleppe mich ins Hotel, bekomme den Zimmerschlüssel und meinen Koffer und werfe mich im Zimmer erleichtert aufs Bett. Ich fühle mich wirklich nicht gut, und meine Abendpläne, die in einem Besuch des beleuchteten Kenrokuen-Gartens und eines eventuell stattfindenden Festes irgendwo in Kanazawa bestanden hätten, storniere ich kurzerhand zugunsten eines Picknicks im Bett. Wie ich dann anhand des Kassenzettels feststelle, hätte der Käse regulär 1800 Yen gekostet, war aber um 50 Prozent reduziert.

Inzwischen ist klar, dass mich ein richtiger Schnupfen erwischt hat, die Nase ist zu, ich fühle mich fiebrig und ich schniefe schon wie die Japaner. Schon gegen sechs Uhr fallen mir die Augen zu und ich kuschele mich tief unter die Decke.

Ausgaben des Tages
Taxifahrten Y 2600
Nomura-Haus Y 500
Shinise-Kinenkan-Museum Y 100
Snacks und Getränke Y 3800
1 ÜN im Toyoko Inn Kenrokuen Y 4980
In der Fremde einen französischen Président zu finden: unbezahlbar