Tag 9: Sonntag, 16.10.05Etappenziel für heute ist Salt Lake City, die Hauptstadt des Mormonenstaates Utah. Die Fahrt dorthin führt uns aus dem Land der roten Felsen hinaus. Ein bisschen wehmütig bin ich schon, die Landschaft ist so wunderschön, dass ich noch viel mehr Zeit hier hätte verbringen können.
Aber nun geht es auf zu neuen Zielen und wir sind gespannt. Die Fahrt selbst verläuft unspektakulär, auf weitgehend gerader Straße geht es am Gray Canyon vorbei. Woher dieser seinen Namen bezieht, ist unschwer zu erkennen. Die Landschaft wird langsam bergiger und führt nördlich der Ortschaft Price durch einen Canyon. Hier passieren wir Bergwerkstädte, die ihre Existenz dem Kohlebergbau verdanken. Neben der Straße verläuft die Eisenbahnstrecke, auf der scheinbar endlose Güterzüge verkehren. Vor uns tauchen die ersten schneebedeckten Berge auf und bilden ein attraktives Panorama.
Auf der Höhe von Provo gibt es dann auch endlich mal wieder richtige Stadt-Infrastruktur mit verschiedenen Shopping- und Restaurantketten. Wir halten an einem IHOP, weil wir ja auch noch gar nicht gefrühstückt haben, aber an einem Sonntag Vormittag sind wir nicht die Einzigen, die diese Idee haben. Die Schlange der Wartenden für einen Tisch geht bis zur Eingangstür und wir haben keine Lust uns das anzutun. Wir fahren also weiter und finden bald einen Starbuck’s, bei dem nur am Drive-thru Schalter richtig Betrieb herrscht. Innen ist es nicht so voll und wir lassen uns gemütlich mit Chai Latte, Cafe Latte, Cookie und Muffin auf einem der Sofas nieder.
Stephan macht seinem Spitznamen doch noch Ehre und studiert eifrig die Coupon-Seiten der ausliegenden Tageszeitung. Ich genieße meinen Tee, lecker! Aber selbst in der tall-Version ist das Getränk schon fast eine Mahlzeit, so viel Milch, wie da drin ist! Auf der Weiterfahrt nach Salt Lake City geht es an vielen Malls vorbei und Stephan ist schon ganz heiß aufs Shopping. Ja, auch das gibt es: shopping-wütige Männer! Wir finden uns ohne Probleme in das Zentrum von Salt Lake City, das uns sein hübsches, sauberes und fast menschenleeres Sonntagsgesicht zeigt. Die Orientierung fällt uns dann aus unerfindlichen Gründen (ich gebe zu, ich hatte die Karte in der Hand) doch etwas schwer und wir drehen ein paar Runden um den Block bis wir den Temple Square und das genau gegenüberliegende Hotel „The Inn at Temple Square“ gefunden haben, wo wir die heutige Nacht verbringen werden.
Unser Zimmer ist erwartungsgemäß noch nicht fertig, es ist ja auch erst 12.00 Uhr. Das stört uns aber nicht, dann stellen wir unser Auto schon mal auf den hoteleigenen Parkplatz und erkunden ein bisschen die Stadt. Das ist leichter gesagt als getan. Zur Zufahrt zum Parkplatz geht es noch einmal um den Block und dann steht ein Hotelangestellter bereit, uns das Auto abzunehmen. Valet Parking only! Das ist total albern, denn die Parkgarage ist nicht sehr groß und er fährt unser Auto schätzungsweise ganze 7 m weiter. Ein bisschen peinlich ist es außerdem, denn unser Wagen sieht aus wie Sau, von außen voll von rotem Staub und Schlamm, innen liegen haufenweise Zeug und Müll rum. Tja, da muss der „valet“ (Diener) jetzt durch, dafür kriegt er ja auch seinen Dollar.
Unser erster Anlaufpunkt ist die Touristinformation der Stadt. Wir decken uns mit City Maps von Salt Lake City ein. In Anbetracht der Tatsache, dass es hier eigentlich gar nicht so viel zu sehen gibt, ist die Auswahl gigantisch. Wir holen uns auch Informationen über das Organ Recital, das sonntags im Temple Square stattfinden soll. Am Eingang des Temple Square werden wir gleich von einem netten, älteren Herren in schwarzem Anzug abgefangen. Er kann offensichtlich nicht zulassen, dass wir völlig uninformiert das Gelände betreten. So bekommen wir nun die zweite Map des Temple Square und viele Informationen darüber, wie wichtig doch die Botschaft der Mormonen ist und dass wir uns auf keinen Fall eine Führung und die Filme entgehen lassen sollten. Wir hatten uns ja auf ein paar Bekehrungsversuche eingestellt, aber das hier geht echt gut los. Dann fragt er uns, ob wir „active in any church“ wären. Stephan fällt natürlich nichts Besseres ein, als die Frage wahrheitsgemäß mit nein zu beantworten. Der Mormone schüttelt traurig den Kopf, dass das nicht gut wäre und ich kann an seinem Blick sehen, dass wir Heiden definitiv in der Hölle schmoren werden. Er schaut uns schon fast mitleidig an und betont noch einmal, dass die Botschaft der Mormonen sehr wichtig für uns sei. Nichts wie weg hier!
Stephan erhält die strikte Anweisung, auf die Frage nach der Kirchenzugehörigkeit in Zukunft nicht mehr wahrheitsgemäß zu antworten, ich möchte nicht noch einmal so angesehen werden. Wir spazieren über das Gelände und bestaunen die heroischen Statuen der mormonischen Siedler und den eindrucksvollen Tempel, der auf dem höchsten Turm von der goldenen Statue des Engels Moroni gekrönt wird.
Wir sind für mehr Bekehrung gewappnet und schließen uns einer Führung an, die von zwei jungen Damen durchgeführt wird, die in ihren Kostümen mormonisch adrett daherkommen. Die eine stammt aus Frankreich und die andere aus Guatemala und bei beiden lässt die englische Aussprache so zu wünschen übrig, dass wir nur einen Bruchteil der Führung verstehen, was kein wirklicher Verlust ist. Statt Sachinformationen gibt es jede Menge verklärter Geschichten über das Mormonentum und rührender Berichte, wie der Glauben ihr Leben verändert hat. Die Frage, was denn nun eigentlich Mormonen von anderen Religionen unterscheidet, bleibt ungeklärt, obwohl sich beide ausführlich darüber auslassen. Dabei fuchteln sie ziemlich viel mit den Armen und ich gewinne den Eindruck, dass sie es selbst auch nicht so richtig wissen oder zumindest nicht vermitteln können. Wir werden ins North Visitors’ Center zu einer mehr als kitschigen Jesus-Statue geführt und eine männliche Stimme spricht über Lautsprecher das Glaubensbekenntnis der Mormonen. Es ist fast als ob Gott zu uns spricht, naja, für uns vielleicht nicht, aber für die anwesenden Mormonen-Touristen, die das Bekenntnis mit geschlossenen Augen mitsprechen, wohl schon.
Weiter geht es in das große Conference Center, das mit 21.000 Sitzplätzen schon ziemlich imposant ist. Als die Führung vorüber ist, werden Kontaktzettel ausgeteilt, auf denen man seinen Namen hinterlassen kann. Stephan füllt brav einen aus, weil er hofft, ein Book of Mormon zu erhalten. Was er damit will, ist mir schleierhaft, aber das ist bei ihm schon fast so eine Art Reflex, wenn es irgend etwas umsonst geben könnte. Das Buch erhält er nicht, aber sicher bald mal Besuch von netten Jungen in schwarzen Anzügen.
Wir bleiben in der Versammlungshalle, denn hier soll gleich das Orgelkonzert beginnen. Der Organist gibt noch eine kurze Einführung zu den Stücken, die er spielen wird und dann geht es los. Die Orgel ist überdimensioniert wie alles hier, aber ihr Klang will mir nicht recht gefallen. Sie quäkt irgendwie und die wechselnden bunten Lichter im Hintergrund erhöhen den Musikgenuss auch nicht. Aber es kostet nichts und wir hören uns wohlwollend das ganze Konzert an. Das Bach-Stück klingt noch ganz schön, aber die mormonischen Eigenkompositionen werden wohl nicht Musikgeschichte schreiben. Gesamteindruck Temple Square: sehr interessant, sehr sauber, sehr kitschig, alles ist hochmodern und es handelt sich definitiv nicht um eine arme Glaubensgemeinschaft.
Die nächste Sehenswürdigkeit ist das Beehive Haus, das mit einem Bienenkorb geschmückt ist, der für den mormonischen Fleiß steht und auch ein Staats-Symbol Utahs ist. Hier erwartet uns eine Überraschung, denn wir erhalten eine Führung auf Deutsch. Sister Knabe aus Deutschland heißt uns willkommen und zeigt uns sowie einer Schweizer Mormonenfamilie den Wohnsitz des Religionsführers Brigham Young, der zugleich auch erster Gouverneur Utahs war. Der Rundgang durch das Haus mit seinen Originalmöbeln ist sehr interessant, aber die Führung entbehrt natürlich jedweder objektiven Distanz. In den schillerndsten Farben werden uns der „Übermensch“ Brigham Young und seine bewunderungswürdigen Taten beschrieben. Der aufmerksame Zuhörer kann aber zwischen den Zeilen deutlich heraushören, welche religiöse Strenge in diesem Haus geherrscht haben muss.
Eine fast religiöse Strenge herrscht auch im Stadtbild, alles ist sauber wie geleckt, die Straßen sind breit und alle Gebäude strahlen neu oder frisch renoviert, aber es fehlt der Stadt an Charakter und Charme. Hinzu kommt für uns noch, dass es Sonntag und die Stadt wie ausgestorben ist. Wir gehen zum Hotel zurück, checken in unser liebevoll dekoriertes Zimmer ein und Stephan gratuliert sich zu seiner Wahl.
Was aber tun mit dem angebrochenen Nachmittag? Wir beschließen, zur Trolley Square Mall zu fahren, damit Stephan endlich dem Shopping frönen kann. Wieder mal stellt die Orientierung ein Problem dar, bis wir die Funktionen tauschen, so dass ich jetzt fahre und Stephan navigiert. Dumm nur, dass die Mall 10 Minuten nach unserem Eintreffen um 17.00 Uhr schließt. OK, Krisensitzung, wie weiter? Das angeschlossene Kino ist offen, aber die Filme können uns auch nicht überzeugen. Wo könnte man denn an einem Sonntag um diese Uhrzeit selbst in Salt Lake City noch was einkaufen? Na klar, Walmart!
Da fahren wir hin und stellen fest, dass auch in Salt Lake City nicht alle Menschen reiche Mormonen in Anzügen und Kostümen mit verklärten Gesichtern sind. Das Walmart Supercenter ist fest in Latino-Hand. Wir decken uns mit ein paar Lebensmitteln und anderen Kleinigkeiten ein, drucken noch ein paar Digitalbilder aus und fahren wieder ins Hotel. Unsere Frage nach Möglichkeiten, den Abend in Salt Lake City zu verbringen, beschert uns ratlose Gesichter an der Rezeption. Hmm, da wäre noch ein Kino… Ok, schon gut, vergessen wir es, we got it: this ist Utah. Dann wollen wir aber wenigstens schön essen gehen. Wir haben irgendwann heute ein Olive Garden Restaurant gesehen, da wollen wir jetzt hin. Natürlich hapert es wieder mit der Orientierung, was zu Fuß noch weniger Spaß macht als im Auto. Ohne größere Wartezeit bekommen wir einen Tisch und müssen amüsiert feststellen, dass alle Stühle Rollen drunter haben. Hmm, so stelle ich mir den Speisesaal eines Seniorenheimes vor, ist ja wirklich sehr authentisch italienisch. Das Essen ist aber gut und ich trinke einen leckeren Rotwein dazu, wieder einmal ohne dass meine ID gecheckt wird. Das ist sehr ungewohnt, bei meinem letzten USA-Aufenthalt war die ID noch ein Dauerthema, bin offensichtlich optisch um einiges gealtert. Nach dem Essen bringe ich den Kellner sehr in Verlegenheit als ich nach einem Digestif frage.
Eigentlich ist mir klar, dass man hier nicht mit einem Ramazotti oder Averna wie beim heimischen Italiener rechnen kann, aber ich will zumindest gefragt haben. Stattdessen nehme ich einen Espresso, der leider nicht sehr gut schmeckt und ein Tiramisu, das innen noch gefroren ist, aber nach meiner Reklamation wenigstens nicht berechnet wird. Der Kellner ist bestimmt froh, als wir endlich gehen. Die Nacht im Hotel wird sehr warm, am nächsten Morgen stelle ich auch fest, warum, wir liegen auf einer Plastic Cover Matress, schwitz!
Übernachtung: The Inn at Temple Square, 87 Euro