20.10.2005 Brattleboro - Bennington - Manchester - Chester - West Yarmouth, MA (428 Meilen)Der Tag beginnt, wie der vorherige aufgehört hat: Mit einer Covered Bridge. Gleich westlich von Brattleboro wartet die erste, etwas abseits gelegen bei Williamsville gleich die nächste. Der Umweg führt über eine Reihe von wirklich schönen Nebenstraßen und man kann sich eine imposante Farbenpracht vorstellen, wenn ich hier nur zum Höhepunkt der Laubfärbung gewesen wäre. Viele Wälder, viele Hügel, von denen man heruntersehen kann und wenig Verkehr, so dass man der Illusion verfallen könnte, die wunderbare Landschaft wäre für mich alleine gemacht.
Zugegeben, ich dachte eigentlich, die Straßen wären sogar noch kleiner und versteckter. Es ist schon fast gemein, dass hier auch noch Straßenschilder stehen und so jeder meine kleine Paradieswelt finden könnte.
In Bennington tanke ich an der zweitbilligsten Tankstelle. Mal wieder. Wirklich jedes Mal, wenn ich in diesem Urlaub irgendwo zum Tanken fahre, finde ich hinterher noch genau eine Tankstelle, die ein paar Cent günstiger gewesen wäre. Machen die das absichtlich? Habe ich jetzt einen Preis gewonnen?
Bennington selber steht zwar nicht auf meine To-Do-Liste, aber solche Listen neigen eh dazu, umgeschmissen zu werden. Kurze Rede langer Sinn: Hier gefällt es mir und ich parke mein Schlachtschiff auf einem Parkplatz gleich hinter einer Einfahrt. Bequemer kann man doch wirklich nicht an einen Parkplatz kommen und dazu ist der auch noch kostenlos.
Die Suche nach DEM Herbstbild beginnt von neuem. Im Ort sind noch einige Bäume spät entwickelt und tragen deshalb noch ihre bunte Farbenpracht. Meine Kamera hat wieder Hochbetrieb.
Der eigentliche Grund, warum ich in die äußerste Ecke von Vermont gekommen bin, liegt aber an gleich drei schönen Covered Bridges, die sich hier in der Nähe befinden. Im Internet habe ich schon Fotos von denen gesehen und wusste sofort: Da musst du unbedingt hin. Leider liegen sie aber weit abseits meiner geplanten Route. Da gibt’s dann nur zwei Möglichkeiten: entweder die Brücken versetzen (zu teuer und zu zeitaufwändig) oder meine Route muss entsprechend angepasst werden. Ok, ist hiermit geschehen.
Die Frage, welche Brücke mir am besten gefällt, ist echt schwer zu beantworten. Die Silk Covered Bridge hat eine schöne Farbe und Architektur, die Papermill Covered Bridge sieht zwar ähnlich aus, hat aber gewisse Unterschiede. Dafür ist sie besser von der Seite zugänglich und bietet einige wunderschöne Fotomotive vor dem blauen Himmel. Die Henry Bridge überzeugt dagegen durch eine wunderschöne Umgebung mit den allerschönsten gelben Bäumen, was ihr direkt ein paar Extrapunkte einbringt. „Einer wird gewinnen“ hieß es jahrelang im deutschen Fernsehen, doch für mich heißt es heute „Alle können gewinnen“.
Aus Bennington führen viele Wege hinaus wie nach Rom Straßen hineinführen. Ich würde gerne auf die 7 auffahren, doch hier ist Linksabbiegen eine echte Lebensaufgabe. Glücklicherweise befindet sich zu meiner rechten eine Tankstelle, nur für den Fall der Fälle. Irgendwann noch vor Sonnenuntergang kommt auch schon eine Lücke und ich befinde mich wieder in Bewegung. Dem starken Verkehr entgehe ich, indem ich kurzerhand rüber auf die 7A wechsle. Hier fährt man fast alleine, nur ein einziger schleichender Wohnwagen vor mir. Dieses Problem muss umgehend beseitigt werden, denn ich fordere freie Sicht nach vorne für meine Videokamera. In einem Automatikwagen ist es wenigstens problemlos möglich, zu fahren und gleichzeitig zu filmen.
Die nächste Covered Bridge liegt weit abseits in West Arlington. Genau SO stellte ich mir Neuengland und speziell der Indian Summer vor: verschlafenes Nest, blauer Himmel, bunte Wälder, weite Wiesen, einzelne Farmen, eine alte Kirche im Dorf, streunende Hofhunde, Kinder auf Fahrrädern, die man unbedenklich draußen spielen lassen kann, blauer Himmel, den man doppelt nennen muss, weil es heute einfach so schön ist.
In Arlington selbst besuche ich die 18. und vorletzte Covered Bridge auf meiner Reise. Interessant ist das Warnschild über dem Brückenportal: Ein Dollar Strafe wenn man schneller fährt als ein Fußgänger läuft. Mit anderen Worten, ich schulde den Behörden ungefähr 18$.
Was wohl jeden Autofahrer freut und den Eisenbahnfan schmerzt: Egal, welchen Bahnübergang ich heute überquere, es will einfach kein Zug kommen. Schade! Was höre ich da für Zwischenrufe aus der letzten Reihe? Ich habe behauptet, alle Abfahrtszeiten auswendig zu können? Das bezog sich ausschließlich auf die White Mountains. Ich kann doch unmöglich alles wissen. Tztz!
Manchester, England, England – so lautet ein bekannter Titel aus dem Musical Hair. Ich besuche heute Manchester, New England. Auch hier stellt sich wie in Woodstock wieder die Frage: Bin ich schon drin, oder was? Parkuhren gibt es hier zwar keine, aber nach Passieren des offensichtlichen Dorfplatzes nimmt die Bebauung wieder ab, also war das wohl wirklich schon das Zentrum. Wenden, zurückfahren und dankend den gerade frei gewordenen Parkplatz einnehmen. Muss ich noch mal aufzählen, was man typischerweise in einem fremden Ort unternimmt? Ok, noch mal: Herumlaufen, Fotos schießen, bunte Bäume bewundern, sich über dunkle Wolken am Himmel Gedanken machen, aber gleichzeitig dankbar sein, dass dadurch schönere Motive entstehen, weiter herumlaufen und sein Auto wieder finden.
Auf der Weiterfahrt aus vermeintlich Manchester Mitte heraus gelange ich zum echten Ortszentrum von Manchester, doch hier habe ich echt nichts verpasst.
Schöner wird es dagegen noch einmal in Chester. Wie schon Bennington auch wieder ein netter Spontanhalt, der einen Urlaub zum Urlaub macht. Chester hat einige schöne Fassaden, gruppiert um einen kleinen Park in Ortsmitte zu bieten. Weitere Covered Bridges fallen damit aus, bis auf die Ashuelot Bridge, die 5m neben der Landstraße liegt. Soviel Zeit muss dann doch noch sein.
Wieder bin ich weit und breit der einzige Fußgänger, doch mit meiner Kamera in der Hand ist meine Absicht hier wohl offensichtlich. Wieder hält ein Wagen an, doch diesmal werde ich gefragt, ob ich nicht ein Foto von mir und der Brücke im Hintergrund haben will. Früher, als ich Fotos sparen musste, weil ich nur begrenzte Anzahl Filme dabei hatte, hätte ich wahrscheinlich abgelehnt, aber heute denke ich nur: Was soll’s? Warum nicht mal die Hilfsbereitschaft anderer in Anspruch nehmen.
Wir kommen ins Gespräch. Er führt am Ende der Straße eine kleine Pension und hat häufig deutsche Touristen zu Gast. Er findet es immer spannend, etwas Neues, für uns fast selbstverständliches der alten Welt zu lernen, zum Beispiel, dass wir unterschiedliche Dialekte haben.
Ich muss mich beeilen, wenn ich vor Sonnenuntergang noch die Doanes Falls ansehen möchte. Auf dem Weg dahin nehme ich eine vermeintliche Abkürzung durch den Wald, doch schon bald bin ich mir nicht mehr sicher, ob ich nicht an der Weggabelung eben hätte abbiegen müssen. Ich habe mich wohl verfahren, rede mir aber ein, dass es einfach nur ein anderer Weg zum Ziel ist. Im nächsten Ort wird es schwierig, die Orientierung wieder zu erlangen, da bei dieser kleinen Waldstraße kein Ortseingangsschild steht. Ich irre durch einen größeren Ort, auf der Suche nach der Hauptdurchgangsstraße und weiß noch nicht einmal, wie das Nest heißt. Naja, geht alles gut, wie sonst würde ich jetzt zu euch schreiben können? Sonst müsste ich ja jetzt noch in irgendeinem Wald kurz vor dem Hungertod herumirren.
Das einzige, worüber ich mich wirklich ärgern könnte: Jetzt habe ich unter Mühen die Doanes Falls gefunden und da sperren die einfach die Zufahrtsstraße. Meine Enttäuschung könnt ihr euch vorstellen. Ersatzweise halte ich am Tinny Lake an, doch aufgrund des eisigen Winds kann man es hier nicht lange aushalten.
Für heute habe ich eine Unterkunft auf Cape Cod vorgebucht. Bis Bourne, am Anfang von Cape Cod gelegen, läuft auch alles wunderbar, doch hier verließen sie ihn. Ohne es zu ahnen, fahre ich nun etwa 20 Minuten in die falsche Richtung. Das sind Momente, da wünscht man sich einen Beifahrer. Erst in Falmouth, wo die Straße endet, muss ich mir eingestehen, dass ich mich absolut verfahren habe. Diesmal weiß ich wenigstens, wo ich bin. Um geradeaus weiter zu fahren, hätte ich in Bourne links abbiegen müssen. Warum sagt mir das nur keiner? Also wieder zurück. Gut, dass Handschuhfächer nicht reden können, sonst könnte es seinem nächsten Mieter einige schöne deutschen Kraftausdrücke beibringen.
Übernachtung: Town 'N Country, West Yarmouth, MABewertung: durchschnittlich