DI, 22.10.: Jodhpur to RanakpurIch finde, ich brauche ein bisschen Ruhe. Anil ist der Meinung, der große Jaintempel in Ranakpur ist toll, in Mount Abu gebe es hingegen viele Kleine. Wir besprechen, dass wir erst nach Ranakpur fahren, dann entscheide ich, ob ich meine verbleibenden Tage in Rajasthan anders aufteile und ein bisschen Dampf herausnehme oder ob wir von Ranakpur tatsächlich nach Mount Abu fahren.
Schon gegen 12 Uhr erreichen wir Ranakpur und ich kann im schönen Hill Resort einchecken. Irgendwie entdecke ich gerade hier in Indien ein Faible für ruhige Plätze, das hätte ich mir sonst früher auch kaum vorstellen können.
Das Resort hat einen einladenden Pool, leider kein WIFI, das gebe es hier wegen der Berge nicht. Aha, na dann also Rückzug total. Aber mein Suiteroom hat ein rundes Bett: Sleeping like Maharani!
Ich lasse mir von Anil noch den Weg zu einem Lokal zeigen, nur ein paar Minuten zu Fuß die Straße entlang. Ranakpur ist wirklich weniger als ein Dorf. Hier ist nichts los. Ich gehe zu dem Lokal und esse das erste Mal in Indien Fleisch, auf das ich hier eigentlich verzichten wollte, weil dann die Gefahr einer Infektion höher ist, die mich an mein Hotelzimmer und mein Bad fesseln könnte. Es gibt Buffet und das Hühnchen probiere ich. Leider alles nicht so spicy wie ich es liebe, aber man bringt mir eine scharfe, würzige grüne Creme, die ein bisschen nach Minze schmeckt und Pickles, sehr scharf angemacht, sodass ich nachwürzen kann.
Auf dem Rückweg gehe ich vorbei an Webereien, halt das, was man Touris so bietet. In einer Weberei kommt gerade eine Touristin mit ihrem Fahrer an, ich geselle mich dazu. Zunächst lässt der Hausherr sich seinen Turban bringen, damit er auf unseren Erinnerungsfotos auch malerisch aussieht. Nebenbei erfahre ich, dass sein roter Turban aus 9 Metern Stoff besteht. Natürlich kaufe ich nichts, und Teppichweberei kenne ich ja auch schon, habe das in einigen anderen Urlauben schon gesehen. Und was für ein Nepp das ist. Ich kaufe nichts, habe das auch nicht vorgehabt.
Auf dem weiteren Weg überholt mich ein kleiner Pick up Truck, auf dessen offener Ladefläche befindet sich mindestens eine komplette Klasse johlender Schulkinder. Meine Güte, wenn ich mir einen solchen Klassenausflug in Deutschland vorstelle? Gnade Gott der Schulleitung!
Ich trotte zum Hotel zurück. Der Pool und bequeme Liegen sind einladend. Außer mir ist niemand hier. Ich habe noch mehr als zwei Stunden am Pool, bevor es zum Sunsetpoint geht.
Anil weist mir den Weg auf den Berg mit Blick nach Westen über den See und klettert in seinen Flip Flops, meistens mit dem Telefon am Ohr, wie eine Bergziege hoch, während ich trotz meiner momentan guten Kondition ein wenig hinterher hechele und völlig verschwitzt oben ankomme.
Zum Glück machen wir zwischendurch Pause und sehen auf eine Art Dorf oder besser gesagt, Zeltstadt auf halber Höhe.
Oben angekommen, bietet sich ein toller Blick, auf der einen Seite zum Jaintempel, auf der anderen Seite auf den See, in der Ferne liegt noch ein weiterer kleiner See. Hier ist es grün, so weit das Auge reicht, ein angenehmer Kontrast zu den staubigen Wüstenlandschaften der letzten Tage.
Etwa sechs Papageien kommen angeflogen und lassen sich im Baum auf dem Berg nieder. Sie streiten miteinander und schnäbeln miteinander. Papageien leben monogam und werden sehr alt. Wer weiß, den wievielten Hochzeitstag wir hier gerade mit erleben?
Anil erzählt, dass es hier auch Bären und Leoparden gibt, die begegnen uns zum Glück nicht. Aber im See können wir Krokodile schwimmen sehen, die ich erst für treibende Baumstämme halte, die allerdings nicht so zielgerichtet die Richtung wechseln würden. Und auf dem Foto meine ich bei starker Vergrößerung auch etwas zu erkennen, das nach Krokodil aussieht.
Als es dunkel wird, gehen wir runter. Ich muss in der Dämmerung sehr aufpassen, dass ich nicht falsch auftrete und abrutsche und nicht in den dornigen Sträuchern hängenbleibe. Anil wieder forsch vorneweg mit der Gattin am Ohr. Das Telefonieren lenkt ihn vom richtigen Weg ab, sodass wir aus Versehen eine Runde direkt um die Hütten drehen.
Ist es malerisch oder erbärmlich? Wohl wieder mal beides. Die Hütten sind rundherum einsehbar. In einer der Hütten brennt Feuer. Ein Mädchen von etwa 13 Jahren liegt bäuchlings auf einem Bett, das nur mit geflochtenem Material bespannt ist, direkt nebenan sind die Ziegen der Familie im gleichen Raum untergebracht. Halbnackte dreckige Kinder mit einem Stück Chapati (Fladenbrot) in der Hand laufen uns nach. Plötzlich schallt aus der Hütte ein SMS- Ton. Das Mädchen, auf dem Bett spielt wie auch alle westlichen Kinder mit dem Handy. Ich muss grinsen. Aha, selbst in der letzten Hütte mitten im Nirgendwo in Indien ist die Moderne wohl inzwischen eingekehrt.
Wir gehen am Straßenrand durch die Dunkelheit den kurzen Weg zum Hotel zurück. Affen kreischen. Die Luft ist kühl, es riecht frisch.
Auf dem Rückweg erzähle ich Anil, dass man in Deutschland überall hört, dass man kleine Geschenke für indische Kinder mitnehmen soll, dass ich noch etwa 5 kg Kulis, Filzstifte, Seifenstückchen, Minicremetuben, Luftballons und Aufkleber zu verteilen habe. Ich frage ihn, was ich damit machen soll, ob er eine Verwendung kennt, denn bisher bin ich es nicht losgeworden. Er macht mir den Vorschlag, dass wir auf der Weiterfahrt nach Udaipur an einer Schule halten können, dass ich die Sachen da ja spenden kann. Super! Absolut klasse! Wüsste ich nicht, dass ich absolut gegen indischen Anstand verstoßen und Verwirrung stiften würde, würde ich ihn nun umarmen.
Ich komme mit dem Sack voll Zeugs, das ich schon vorher separiert habe, aus dem Hotel, denn hier darf er nicht rein. Wir sichten alles. Einiges möchte er gerne haben, die Babycreme für seinen zwei Monate alten Sohn, eine Packung der Filzstifte für die sechzehnjährige Tochter, die Halstabletten aus der Apotheke in Agra, die ich nach der Erfahrung mit dem Cortison lieber nicht behalten will. Wir machen eine zweite Tüte mit Aufklebern, Luftballons und Stiften für die Schulkinder, sodass ich anschließend im doppelten Sinne deutlich erleichtert zurück gehe.
Ich verabschiede mich von Anil und entscheide mich für Essen im Hotel. Beim Weg durch das Restaurant muss ich fast über die Mitarbeiter hinwegklettern, die es sich vor dem Fernseher im Eingangsbereich auf dem Boden bequem gemacht haben. Hier ist es langweilig. Ich bin der einzige Gast. Aber ich vergesse heute nicht mein Essen spicy zu bestellen und bekomme es auch spicy. Es schmeckt sehr gut.
Zum ersten Mal in diesem Urlaub gesellt sich eines meiner Lieblingstiere zu mir und ich teile meinen Rest Reis mit der wenig selbstbewussten Katze, die mich verschreckt und gleichzeitig bittend ansieht.
Ein schöner, entspannter, ruhiger Tag liegt hinter mir.