1. April 2014: Tokio – Nikko – Tokio Es wird besser mit dem Jetlag. Heute nacht bin ich doch tatsächlich schon vor halb eins eingeschlafen. Heute morgen esse ich wieder ein kleines Frühstück mir Marmelade, dann breche ich auf, um den 8.14-Uhr-Yamabiko-Shinkansen Richtung Norden zu erwischen. Der hält direkt in Ueno, und die Shinkansen-Bahnsteige sind auch schnell gefunden:
Zuerst passiert man das „normale“ Ticketgate, dann folgt man den allgemeinen Hinweisschildern zum Shinkansen. Vor dem Shinkansen-Bereich sieht man auf der Anzeigetafel abwechselnd auf japanisch und englisch die Züge und Bahnsteige. Ich will den Shinkansen um 8.14 Uhr nehmen, muss also zum Bahnsteig 20. Um zum Shinkansen zu kommen, muss man dann noch durch ein zusätzliches Shinkansen-Ticket-Gate. Am Bahnsteig werden dann Informationen zu den nächsten Zügen angezeigt, wieder auf englisch und japanisch. Hier findet man auch Informationen darüber, welche Wagen reservierungspflichtig sind und welche nicht. Man stellt sich dann in den jeweils markierten Bereich in die Schlange. Ohne Reservierung muss man in einen „Non-Reserved Car“, ansonsten stellt man sich natürlich dort in die Schlange, wo der reservierte Wagen halten wird. Ich habe heute keine Reservierung und stelle mich hinter dem netten japanischen Herrn für den Wagen 4 an. Der Wagen hält dann auch auf den Zentimeter genau dort, wo er halten soll. Man steigt ein, und wenn man Gepäck dabei hat, kann man es auf der Ablage oben am Sitzplatz unterbringen oder größere Gepäckstücke hinter den letzten Reihen in den Waggons abstellen, wo zwischen Wand und Rückenlehne noch genug Platz für große dicke Koffer ist.
So viel zum Grundkurs Shinkansen. Die Details der Anzeigen und der markierten Wartebereiche sind, wie ich im Verlauf der Reise feststelle, zwar oft etwas unterschiedlich ausgestaltet, aber vom Grundsatz her ist die Beschilderung überall so wie hier in Ueno. Der Yamabiko fährt natürlich pünktlich ab und erreicht in einer Dreiviertelstunde Utsunomiya. Dort habe ich elf Minuten zum Umsteigen, und das reicht locker. Von hier aus fährt ein Zug nach Nikko. Ich sitze direkt im ersten Wagen hinter dem Führerstand und kann dem Lokführer bei der Arbeit zusehen.
„Sage nicht prachtvoll, bevor du nicht Nikko gesehen hast“, so soll ein japanisches Sprichwort lauten. Das weckt natürlich Erwartungen, und ich bin gespannt, ob Nikko das halten wird, was das Sprichwort verspricht.
Der Zug kommt um kurz vor zehn in Nikko an, ich laufe ein Stück die Straße entlang bis zur zentralen Bushaltestelle, und gerade als ich überlege, ob ich die knapp 2 km zu den Schreinen und Tempeln von hier aus laufen oder auf einen Bus warten soll, fährt auch schon der World Heritage Bus vor. Also los. Hier kann ich zum ersten mal meine Suica-Card zum Einsatz bringen. Man hält sie beim Einsteigen und Aussteigen an den Kartenleser, und das System bucht beim Aussteigen den anfallenden Betrag ab. Geht ganz einfach.
Ich steige an der Station „Omotesando“ aus. Von hier aus sind es nur ein paar Meter zum Rinnoji, dem ersten Ziel des Tages. Der Tempel wurde schon im 8. Jahrhundert gegründet und im 17. Jahrhundert weiter ausgebaut. Zur Zeit wird der Tempel renoviert, der Besuch ist eingeschränkt, aber ich will ihn mir trotzdem ansehen und kaufe ein Ticket.
Auf der Tempelbaustelle gilt leider „No Photo“, aber außer einer Buddha-Statue und ein paar kleineren Götter-Statuen ist ohnehin nicht viel zu sehen. Was ich ziemlich obskur finde, ist die Tatsache, dass neben jeder Götter-Statue auch gleich ein zum Verkauf verpacktes Amulett hängt, vermutlich, damit man später im Shop noch das passende Amulett zum gewünschten Gott wiedererkennt und keinen Fehlkauf tätigt.
Die Baustelle darf man sich auch noch von oben anschauen – und fotografieren -, und da sieht es weniger nach Renovierung und mehr nach einem Tempel-Neubau aus.
Der Mönch scheint auch nicht so richtig hierher zu passen.
Direkt oberhalb des Rinnoji steht schon das Eingangstor zum Toshogu-Schrein. Der Schrein wurde im 17. Jahrhundert zuerst als relativ einfaches Mausoleum für den Shogun Tokugawa Ieyasu, den ersten Shogun der Edo-Zeit, begründet und später von dessen Enkel ausgebaut. Der Schrein umfasst mehrere Gebäude. Die meisten sind mit prachtvollen Schnitzereien ausgeschmückt, was in japanischen Schreinen ansonsten eher unüblich ist.
Vor dem Eingang zum Schrein steht noch eine pittoreske Pagode, aber man sollte bloß nicht meinen, dass man mit dem teuren Ticket für den Schrein auch noch zur Pagode darf. Die kostet extra, und ich werde sofort zurückgepfiffen, als ich arglos die Stufen zur Pagode hochgehe. Egal, von weitem ist die Pagode sowieso am schönsten.
Danach betrete ich das Schreingelände und bin wirklich erschlagen von der Pracht. Überall bemalte Schnitzereien an den Gebäuden, dabei dienten viele früher als Lagerhaus oder als Stall. Das bekannte Bild der drei Affen, die nichts böses hören, nichts böses sagen und nichts böses sehen ist an den ehemaligen Ställen der heiligen Pferde angebracht. Die derzeitige Schreinrenovierung ist hier offenbar noch nicht angekommen. Gegenüber am Lagerhaus sind zwei Elefanten zu sehen, die auch „Elefanten der Fantasie“ genannt werden, weil der Künstler vermutlich nie einen Elefanten gesehen hat.
Die Ema-Täfelchen des Schreins greifen das Affenmotiv wieder auf.
Eine Treppe führt hinauf, durch das Yomeimon-Tor. Das wird derzeit leider auch renoviert, aber kaum hat man die eingehüllte Baustelle umlaufen, setzt sich die Pracht fort. Man weiß wirklich kaum, wo man hinschauen soll.
Im Inneren des Schreins muss man die Schuhe ausziehen, Fotos sind hier nicht erlaubt. Ganz anders sieht es mit der schlafenden Katze aus, eine der bekanntesten Schnitzereien am Schrein. Hier klicken um mich herum die Fotoapparate.
Die Katze thront über dem Weg zum Mausoleum des Shogun. Es wird gemunkelt, dass sie die (Hinter-) List des Shoguns symbolisieren soll, denn wer weiß schon, ob die Katze wirklich schläft. Der Shogun jedenfalls ruht weiter oben am Berg, umgeben von Bäumen, in seiner Urne.
Dann gehe ich hinüber zur Honjido-Halle, der Halle mit dem fauchenden Drachen, wo wieder ein Fotoverbot gilt, aber hier soll man ja etwas zu hören bekommen. Der Drache ist ein riesiges Deckengemälde, und er soll tatsächlich fauchen. Ein Mönch führt den Effekt vor: Er schlägt zuerst weiter hinten in der Halle mit zwei Stäben aufeinander. Nichts passiert. Dann schlägt er unter dem Kopf des Drachen die Stäbe zusammen, und es ist ein deutliches, schallerndes Echo zu hören. Das ist es also, das Fauchen des Drachen. Und mit derselben Ernsthaftigkeit, mit der der Mönch den fauchenden Drachen erklingen lässt, holt er anschließend ein verkaufsfertig verpacktes Amulett hervor und präsentiert es den Besuchern. Vielleicht kann man damit den inneren Drachen in sich wecken. Der Mönch jedenfalls gibt mit einem Gesichtsausdruck, den ich als Mischung zwischen „Nehmen Sie regelmäßig Ihre Blutdrucktabletten!“ und „Denken Sie an Ihre Altersvorsorge!“ interpretiere, noch ein paar Erläuterungen zum Amulett, vermute ich jedenfalls, denn natürlich tut er das auf Japanisch, dann dürfen die Besucher weitergehen, wo schon die Mitarbeiter an den Verkaufstheken warten. Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen. Und während ich draußen meine Schuhe wieder anziehe, steigt drinnen schon die nächste Drachen-Verkaufsshow.
Der nächste Schrein, nur ein paar Minuten Fußweg entfernt, ist der Futarasan-Schrein, und der sieht erstmal langweilig aus. Erst auf den zweiten Blick erschließt sich sein Reiz: Der Schrein, der direkt am Waldrand liegt, besteht aus vielen kleinen Shinto-Schreinen. Er wurde schon im 8. Jahrhundert gegründet und ist den Göttern der drei heiligsten Berge von Nikko gewidmet. Was ich lustig finde: An einer Stelle kann man Ringe werfen. Vielleicht kann man als Preis ein bisschen Glück gewinnen. Mir gefällt der Schrein sehr gut. Er ist ruhig und hat etwas richtig ursprüngliches. Weit weg vom Trubel um fauchende Drachen und schlafende Katzen schmücken Seile und Zickzackpapiere Bäume, Quellen und Felsen. Zurück zu den Wurzeln, könnte man sagen. Es herrscht eine ruhig entspannte Atmosphäre unter den hohen Nadelbäumen.
Schließlich gehe ich weiter zum Taiyuinbyo, dem Mausoleum von Iemitsu, dem Enkel von Ieyasu. Er war der dritte Shogun der Edo-Zeit und derjenige, der den Toshogu-Schrein für seinen Großvater so prächtig ausbauen ließ. Für ihn selbst durfte es dann eine etwas bescheidenere Version davon sein. Hier und am Toshogu-Schrein zeigt sich, wie dicht Shintoismus und Buddhismus über lange Zeit in Japan miteinander verwoben waren: Beide Gebäudekomplexe zeigen Elemente beider Glaubensrichtungen und wurden erst in der Meiji-Zeit so weit wie möglich „bereinigt“. Dabei blieb der Toshogu-Schrein shintoistisch, der Taiyuinbyo wurde aber dem buddhistischen Rinnoji-Tempel „zugeschlagen“
Inzwischen ist es schon fast drei Uhr, und eigentlich wollte ich heute mal was zu Mittag essen, aber das einzige Restaurant, das ich auf meinem weiteren Weg sehe, ist mir nicht sonderlich sympathisch, also mache ich mich auf den Weg zu meinem nächsten Ziel, der Kanmangafuchi-Abyss, einer kleinen Schlucht. Zwischendurch verlaufe ich mich ein wenig, weil ich mir einbilde, den Weg auch ohne Karte zu finden. Das tue ich auch, aber erst nach einem Zickzackkurs durch die angrenzenden Straßen. Schließlich ist die richtige Straße gefunden, die über den Fluss führt und schließlich in einen Weg mündet, der am Ufer entlang führt. Hier sind mehrere Jizo-Statuen aufgestellt, die hinunter auf den Fluss schauen.
Die Jizos sind buddhistische Bodhisattvas, also Wesen, die anderen Wesen auf dem Weg zur Erleuchtung helfen. Die Jizos haben eine besondere Aufgabe: Sie helfen den Seelen verstorbener oder totgeborener Kinder zur Erlösung. Die Mützen und Lätzchen - offenbar werden sie von den Müttern der Kinder gefertigt - sollen ihnen helfen die Seelen der Kinder zu finden.
Alle Statuen sehen unterschiedlich aus, aber eins haben sie alle gemeinsam: Sie wirken friedlich, und sehen mit ihren gehäkelten Mützen und den Lätzchen richtig anrührend aus.
Ich mache mich in gelöster Stimmung wieder auf den Weg. Der Besuch hier unten am Fluss hat richtig gut getan.
Von hier aus mache ich mich wieder auf den Rückweg am Fluss entlang bis zur Shinkyo-Brücke, bei der es sich um eine der drei schönsten Brücken Japans handeln soll. Schade, dass die tiefstehende Sonne hinter der Brücke nicht gerade hilfreich ist, um den Ruhm der schönen Brücke fotografisch zu verbreiten.
Ein Blick in meine Unterlagen verrät mir: Der nächste Zug fährt in einer halben Stunde, bis zum Bahnhof sind es 2 Kilometer, das schaffe ich. Um viertel vor fünf sitze ich dann auch tatsächlich im Zug Richtung Utsunomiya, immer noch ohne Mittagessen, aber mit einem Plan: Am Bahnhof Utsunomiya will ich mir eine Bentobox kaufen und auf der Shinkansenfahrt nach Ueno in typisch japanischer Manier im Zug essen. Eine Verkaufsstand für Bentoboxen ist auch schnell gefunden, schwieriger wird es aber mit der Verständigung. Zwar sind überall Modelle des Inhalts der unterschiedlichen Boxen aufgestellt, aber wer weiß schon, ob das braune Zeug auf dem Reis Fleisch, Fisch, Tofu oder Wurzeln darstellen soll oder womit die gezeigten Reisklöße gefüllt sind. Die Verkäuferin ist zwar freundlich, spricht aber nur japanisch, und egal wie oft sie mir den Inhalt der Boxen auf japanisch erklärt, ich weiß trotzdem nicht, was drin ist. Das Problem löst sich, als ich auf der Verpackung einer der Boxen eine Kuh erblicke. Wo Kuh drauf ist, muss auch Kuh drin sein, finde ich, deute aber vorsichtshalber trotzdem auf die Kuh und versuche mein Glück mit einem fragenden „Muh?“
Das findet der Mann, der gerade eine Box gekauft hat, sehr komisch, versteht aber jedenfalls, was ich will, erklärt es der Verkäuferin und bringt ihr auch gleich mal das Wort „Beef“ bei. Natürlich kaufe ich dann auch die Beef-Bento-Box. Um 17.46 Uhr nehme ich den Shinkansen zurück nach Ueno und packe im Zug gleich meine Box aus. Darin sind Reis mit Rindfleisch, Ingwer, einlegte Pflaumen und irgendwas, das wahrscheinlich aus Tofu besteht. Es schmeckt sehr lecker und lässt sich auch mit den mitgelieferten Stäbchen gut essen.
Um halb sieben bin ich wieder in Ueno und könnte jetzt zum Hotel gehen. Allerdings habe ich mir heute morgen schnell noch die Wegbeschreibung für eine typisch japanische Errungenschaft eingesteckt, nämlich für ein Cat Café.
Dank Fotos in der Wegbeschreibung ist das „Café“ im achten Stockwerk eines Gebäudes direkt am Bahnhof schnell gefunden. Als ich oben aus dem Aufzug steige, muss ich die Schuhe ausziehen, Jacke und Rucksack in einen Spind sperren und meine Hände desinfizieren. Dann darf ich entscheiden, wie lange ich hier verbringen will. Ich wähle eine halbe Stunde, bekomme eine entsprechend eingestellte Stoppuhr ausgehändigt und darf mich dann zu den Katzen setzen. Ich darf Fotos ohne Blitz machen, Spielen und Streicheln sind erlaubt, außer bei Mikori (oder so ähnlich), der eine wirklich gefährliche Katze sein soll. So guckt er auch, und unwillkürlich frage ich mich, ob in ihm wohl ein listiger Shogun wiedergeboren wurde.
Die anderen sind aber niedlich, oder, wie es in Japan heißt: Kawaii!
Man kann hier auch etwas trinken und vermutlich auch ein paar Snacks bekommen, aber der eigentliche Sinn eines Cat Cafés ist der Kontakt zu den Katzen, die in den Wohnungen in den japanischen Städten oft nicht erlaubt ist. Inzwischen sind Cat Cafés schon längst mich mehr der letzte Schrei, dafür gibt es inzwischen ja solche Errungenschaften wie Eulencafés, die aber wohl auf den Widerstand von Tierschützern treffen.
Ich trudele schließlich gegen halb acht im Hotel ein, kaufe mir im angrenzenden Shop noch einen mit Creme und Obst gefüllten Pfannkuchen und mache mir einen gemütlichen Abend. Im Fernsehen läuft so etwas ähnliches wie das „Kirschblütenfest der Volksmusik“, jedenfalls was Bühnendekoration und das Alter des Publikums im Saal angeht.
Der anschließende Wetterbericht sieht gut aus: Der für morgen ursprünglich vorhergesagte Regen soll doch erst am Abend fallen, vormittags soll es wieder sonnig werden.
Ausgaben des Tages:Busticket: Y 310 (gezahlt mit Suica-Card)
Rinnoji-Tempel Y 400
Toshogu-Schrein Y 1300
Futarasan-Schrein Y 200
Taiyuinbyo Y 550
Bentobox Y 1000
Cat Cafe Y 750
Snacks und Getränke Y 550
1 ÜN im Hotel Coco Grand Ueno Shinobazu Y 10800
Eine Kuh auf einer Bentobox erkennen: unbezahlbar
Gute Nacht!