22. August: Auf dem Weg in die „Rodeo Capital of the World“Eine rustikale Western-Nacht geht vorüber. Wir sind recht früh auf, frühstücken flott – ohne Strom, denn den Generator wollen wir in der Natur nicht anschalten. Das heißt: kein Toaster, keine Kaffeemaschine. Aber es geht auch so. Das Zelt ist nass, wir säubern es, so gut es geht.
Die Weiterfahrt führt in einer großen Schleife durch den nördlichen Teil von Yellowstone. Wir fahren Richtung Madison, dann nach Mammoth Hot Springs und schließlich über Roosevelt Tower zum nordöstlichen Parkausgang. Unser Ziel an diesem Abend ist Cody.
In Mammoth Hot Springs beschränken wir uns auf den Auto-Loop durch die Upper Terraces. Hier – wie eigentlich immer – hat der unentbehrliche Reiseführer „Der ganze Westen“ von Grundmann recht: Die Terrassen haben einen Großteil ihrer Attraktivität verloren, seit der Wasserfluss versiegt ist. Trotzdem sind die weißen Steinformationen schön anzusehen. Wir sind einmal mehr sehr froh, den Van für sieben zu haben, denn das Wohnmobil darf den Loop nicht fahren und wird auf dem Parkplatz abgestellt.
Weiter geht es zum Roosevelt Tower. Bei den Kindern machen sich aufgrund der vielen Stopps schon gewisse Ermüdungserscheinungen breit. Aber die Älteren kennen kein Erbarmen. Nach etlichen Runden auf dem beengten Parkplatz am Roosevelt Tower hat auch der Van sein Plätzchen gefunden, und wir machen uns auf den Weg zum Steamboat Geysir, vorbei am wunderschön blau schimmernden und grässlich stinkenden Emerald Pool. Danach haben Lisa, Jonas, Julian und Jasmin die Nase voll. Sie beobachten noch eine Weile die Streifenhörnchen in den Holzbalken des Museumsgebäudes und warten dann auf die Rückkehr der anderen drei.
Jakob, Irene und Dieter gehen durch das Museum und finden sich auf der anderen Seite des Gebäudes in einer phantastischen Wunderwelt wieder. Zu ihren Füßen erstreckt sich ein riesiges Dampf- und Poolgelände, das in allen Farben schimmert, begrenzt von zackigen Bergen am Horizont. Nur ein Holzsteg durchzieht diese Wunderlandschaft, von außen kann man schauen und staunen. Einer der schönsten Plätze, den wir in Yellowstone gesehen haben.
Danach heißt es Meilen machen. Bis Cody ist es noch ein ganzes Stück – und dabei müssen wir die östlichen Rockies überqueren. Serpentine reiht sich an Serpentine – fahrerisch anspruchsvoll und zeitraubend. Aber irgendwann ist es geschafft. Wir landen auf dem KOA in Cody. Jetzt ist Logistik gefragt. Einerseits haben alle Hunger, andererseits wollen die Mädchen unbedingt duschen und vor allem Wäsche waschen. Aber es klappt: Irene kocht einen großen Topf Spagetti, dazu Tomatensauce mit Hack (aus verschiedenen Dosen und Gläsern zusammengemischt) und geriebenen Mozzarella. Die Mädchen waschen und dürfen die Sachen sogar im Trockner lassen, denn wir haben heute Abend noch etwas vor: das Cody Nite Rodeo. Um 7 pm geht ein kostenloser Shuttle-Bus vom Campground zur Stampede-Arena. Die Karten fürs Rodeo (18 Dollar pro Person) kaufen wir schon auf dem KOA.
Wieder regnet es leicht, als wir die Arena erreichen. Ein herrlicher Regenbogen wölbt sich über Cody. Im Laufe des Abends hört der Regen auf, es wird auch wieder relativ warm.
Bis zum Rodeo-Start um 8 pm können wir den Cowboys bei Lasso-Übungen zusehen. Wer will, darf für 10 Dollar auf einen stramm festgebundenen Bullen steigen und für ein Foto posieren. Wir suchen uns einen Platz in mittlerer Höhe der überdachten Tribüne. Ein Schuss Patriotismus zum Start, sechs Reiterinnen mit der US-Flagge, drei weitere jagen mit den Flaggen „ God“ und „bless“ und „America“ durch die Arena, akustisch flankiert von einem Ohren und Poren durchdringenden „Red, White and Blue“. Und dann kommt die Hymne. Alle stehen auf – wir natürlich auch.
Exkurs: The Land of the Free
Der Nationalstolz und die vielfältigen Symbole der Zusammengehörigkeit sind auf unserer Reise durch den Mittleren Westen ständige Begleiter. Weder in den Staaten an der Ostküste noch im Westen hatten wir das Gefühl, im „land of the free“ zu Gast zu sein, in solch einer Intensität erlebt. Hier weist jedes zweite Fahrzeug den Fahrer per Aufkleber oder Nummernschild für alle deutlich sichtbar als Veteranen oder als ehemaligen Kriegsteilnehmer (insbesondere des Irak-Kriegs) aus. Es gibt nahezu keine öffentliche Veranstaltung ohne die besondere Ehrung der Gefallenen, der aktiven Soldaten und der Reservisten, denen auch mit reduzierten Eintrittspreisen in den öffentlichen Einrichtungen und Museen Dank gesagt wird. Das lässt uns nicht unberührt, offen gestanden: Es beeindruckt uns, auch weil Vergleichbares in Deutschland aus vielerlei Gründen undenkbar wäre. Wir fragen uns, wo wohl die Grenze liegt zwischen beeindruckendem und beängstigendem Nationalbewusstsein und warum gerade hier in den Cowboy-Staaten das zumindest nach außen hin vermittelte Zusammengehörigkeitsgefühl und das Miteinander so ausgeprägt erscheint oder tatsächlich ist. Ein Thema, das hier nicht vertieft werden kann. Vielleicht nur so viel: Die Bevölkerung in den fünf Staaten, durch die wir gekommen sind (Colorado, Utah, Wyoming, Montana und South Dakota) ist relativ homogen, auch hinsichtlich der sozialen Struktur. Es ist keine „reiche“, aber auch keine verarmte Gegend. Prachtbauten wie im Osten und Westen haben wir nicht gesehen, auch keine Slums. Mit Ausnahme von Denver, wo Prachtstraßen auch den Blick freigeben in verwahrloste Nebengassen. Insgesamt aber erscheinen uns die Menschen, denen wir auf unserer Reise begegnet sind, in ihrem Leben und Denken ähnlich und zufrieden, und das fördert wohl auch den Zusammenhalt, wie es vielleicht auch „Außenseiter“ auszugrenzen vermag. Aber das zu beurteilen, erfordert sicher mehr als eine dreiwöchige Rundreise.
Zurück zum Rodeo, denn in den Corrals scharren die Pferde und die Cowboy und -girls schon mit den Hufen, und die Kälber warten auf ihren Auftritt. Es gibt ein bisschen Wildpferdreiten, viel Calf-Roping, einige Pferderennen um Fässer herum und ganz zum Schluss sogar mehrmals Bullriding. Die Reiter werden jeweils mit Namen und Herkunftsort vorgestellt, jeder Wettbewerb hat am Ende einen Zeitsieger. Die Gleichberechtigung ist hier noch nicht ganz angekommen, denn die Frauen müssen die Kälber nicht bewegungsunfähig machen, also nicht an den Beinen fesseln. Bei ihnen reicht es, wenn sie das Lasso um den Hals der Tiere werfen können. Dann darf das Kalb weiter in seinen wohlbekannten Corral am anderen Ende der Arena traben.
Zwischen den Competitions gibt es allerhand Späße. Cowboy-Clowns treten auf, deren Pointen sich uns nicht immer erschließen. Etwa in der Mitte der Show werden alle Kinder bis zwölf in die Arena gerufen. Selbst die Kleinsten stolpern in das Oval. Der Clown erklärt die Regeln, die eine ganze Reihe der Kids aufgrund von Sprachproblemen nicht im entferntesten versteht. Aber egal: Sie machen, was alle anderen auch machen. Wir trauen zuerst unseren Ohren nicht, als der Cowboy ankündigt, dass zwei wilde Kälber in die Arena rennen werden. Wer von den Kindern die blauen Bänder ergattert, die die Kälber am Schwanz tragen, gewinnt. Aber tatsächlich: Da kommen die Kälber, und die Kinder rennen im Pulk hinter ihnen her. Als sie eines an der Bande in die Enge getrieben haben, keilt das Tier kräftig nach hinten aus – ein Wunder, dass keiner zu Schaden kommt. Zwei größere Mädchen schnappen sich die Ribbons und gewinnen die Preise.
Eine weiterer Kinderspaß ist für europäische Augen vielleicht etwas strange: Vier Kinder im Wildwestlook werden vom Cowboy-Clown mit einem aufblasbaren Gun „niedergestreckt“ ˗ das Publikum klatscht begeistert Beifall.
Gegen 9.30 pm schließt die „Rodeo Capital of the World“ ihre Pforten. Unser Shuttle, übrigens ein ausgedienter Schulbus, wartet auf dem Parkplatz. Auf der Hinfahrt saßen etwa 15 Personen im Bus, jetzt ist er rappelvoll. Etliche Mitfahrer müssen stehen. An mehreren Stopps steigen sie nach und nach aus, bis wir auf dem Campground ankommen.